Rivalen der Liebe
sämtliche anderen angenehmen Aktivitäten anhören musste, für die es sich zu leben lohnt. (Wir wissen, dass Ihr das hier lest, Lady S- W-!) Wir ziehen den Hut vor Lord R-, der es schaffte, sie zehn Minuten lang zu ertragen – das ist ein neuer Rekord! Was nun ihre Bekehrungsversuche betrifft, so hoffen wir, dass sie auf nicht allzu fruchtbaren Boden fallen, denn sonst hätten wir schließlich gar nichts mehr, worüber wir reden können!
Kapitel 20
Nach den diversen Gläsern Brandy, die Roxbury schon zu Hause zu sich genommen hatte und der nicht unerheblichen Menge Champagner, die er sich auf dem Ball gegönnt hatte, war er inzwischen ordentlich betrunken. Man könnte sogar sagen: Er hatte ordentlich einen in der Krone. Richtig einen im Tee und so weiter und so fort.
Wäre die Roxbury-Kutsche nicht mit einem großen, vergoldeten Wappen auf der Tür geschmückt, um das sich silberne Blätter rankten, wäre er wohl in die falsche Kutsche gestiegen. Sein Orientierungssinn ließ mittlerweile wirklich zu wünschen übrig.
Doch so betrunken Roxbury auch war, eins wusste er nach diesem Abend mit absoluter Sicherheit: Er würde niemals heiraten. Niemanden. Zur Hölle mit dem Ultimatum seines Vaters. Zur Hölle mit den Vorhaltungen einer Lady Stewart-Wortly. Zur Hölle mit Lady Somerset und ihren »Geheimnissen der Gesellschaft«!
Dann lebte er eben auf Pump, von seinem eigenen spärlichen Einkommen und seinem gewitzten Verstand! Das alles hatte den unbezahlbaren Vorteil, dass er sich seinem Vater nicht zu unterwerfen brauchte. Sollte Lady Stewart-Wortly doch denken, sie habe ihn bekehrt. Wenn er ohnehin nichts zu verlieren hatte, verlor Lady Somerset mit ihrer abscheulichen Kolumne jegliche Macht über ihn.
Bei dieser Vorstellung wurde Roxbury von einem unvorstellbaren Triumphgefühl übermannt. Zur Hölle mit ihnen allen!
Aber dann wanderten seine Gedanken unweigerlich wieder zu Lady Somerset. Sie hätte eigentlich heute Abend zum Ball kommen müssen, damit er ihr seinen Frust, seine Enttäuschung und seine Wut über ihre neuste Kolumne direkt in ihr hübsches Gesicht schleudern konnte. Doch obwohl er so sorgfältig wie unablässig Ausschau nach ihr gehalten hatte – er hatte sie nicht gesehen.
»Nach Hause, Mylord?«, fragte sein Kutscher.
Roxbury dachte nur eine Sekunde darüber nach.
»Nein, zum Bloomsbury Place. Nummer 24«, trug er ihm dann auf.
Was genau er tun würde, wenn er bei ihr eintraf, wusste Roxbury nicht genau. In seinem betrunkenen Zustand schien es ihm aber unerlässlich, dieser Lady Somerset gehörig die Meinung zu sagen.
Und danach, wenn er ihr alles ins Gesicht geschleudert hatte, was ihm in den letzten Tagen durch den Kopf gegangen war, würde er seine neu gewonnene Freiheit feiern – laut und in aller Öffentlichkeit. Das ist das Gute daran, wenn man keinen Ruf mehr zu verlieren hat , überlegte er betrunken, es eröffnen sich einem völlig andere Möglichkeiten, sich skandalös zu verhalten, ohne dass man allzu große Konsequenzen fürchten muss .
Und zu diesem Zweck schickte er seinen Kutscher erneut los, damit er ihm eine Flasche Champagner aus einem nahegelegenen Gasthaus besorgte. Roxbury wartete derweil bei den Pferden.
Das Viertel war sehr ruhig, weil es schon recht spät war. Alle Leute waren entweder schon zu Bett gegangen oder feierten noch auf einem Ball. Schon bald würden die Ersten aber wieder nach Hause kommen, und nicht allzu lange danach würde die Sonne aufgehen. Diener würden mit ihrem Tagwerk beginnen und Lieferungen aus ganz London eintreffen. Klatschsüchtige Hausfrauen würden ihre Vorhänge öffnen und den Platz beäugen. Arbeitende Männer würden das Haus verlassen und in ihre Büros gehen. Die Stadt würde langsam zum Leben erwachen.
Und jeder von ihnen würde das unübersehbare Wappen der Familie Roxbury auf der Kutsche sehen, die direkt vor der Haustür der respektablen Lady Julianna Somerset parkte.
Er lachte leise in sich hinein. Auge um Auge. Oder besser noch: guter Ruf um guten Ruf .
Die meisten, wenn nicht sogar alle Beobachter würden einem Freund aus gut unterrichteter Quelle davon erzählen, der wiederum einem anderen Freund ganz im Vertrauen davon erzählt, der wiederum einem anderen Freund …
Schon zur Mittagszeit würde jede Person in London wissen , dass Roxbury die Nacht im Haus der Lady Somerset verbracht hat.
Der Ruf einer Frau war etwas sehr Empfindliches. Er war verletzlich, und schon die Andeutung eines Skandals konnte
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