Rivalen der Liebe
einer hochgestellten Persönlichkeit ihres Standes. Aber nur ganz knapp.
Der Baron of Pinner hatte vor langer Zeit die Anwesenden bei einer Party damit schockiert, dass er Limericks rezitierte, die er als Oden an gewisse Körperteile seiner jungen Braut gedichtet hatte. Zum Glück hatte seine Liebste einen gewissen Sinn für Humor gehabt … Julianna überlegte. Gewiss, die Limericks waren ein schlimmer Fauxpas gewesen – aber nichts im Vergleich zu dem, was Roxbury ihr angetan hatte; immerhin hatte er vor ihrem Fenster schmutzige Balladen gegrölt. Und das in einer Lautstärke, dass es auch wirklich jeder in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft mitbekam. Abgesehen davon waren der Limerick zitierende Baron und die fragliche Lady zu dem Zeitpunkt bereits verheiratet gewesen.
Egal, wie Julianna es drehte und wendete – der Skandal würde tatsächlich so schlimm werden, wie sie befürchtet hatte. Es bestand noch der kleine Hoffnungsschimmer, dass die Gesellschaft vielleicht auch nur Roxbury dafür verantwortlich machen und sie verschonen würde. Aber ihrer Erfahrung nach ging die Gesellschaft nie gnädig um mit einer Frau, deren Moral als fragwürdig galt. Damit standen aber ihre gesellschaftlichen Einladungen auf dem Spiel, und mit ihnen auch ihr Lebensunterhalt. Julianna brauchte ihren guten Ruf wie Luft zum Atmen oder Wasser. Anders konnte sie nicht überleben.
»Gibt es vielleicht auch irgendwas Tröstliches zu sagen? Irgendwas, das mir hilft?«, fragte Julianna in die Runde. Sie hörte selbst, wie verzweifelt ihre Stimme klang. Ihr fiel nämlich nichts Tröstliches ein.
»Es kommt alles wieder in Ordnung! Wirst schon sehen, in Nullkommanix liegt der Skandal hinter dir«, sagte Sophie fröhlich.
»Es wird gar nicht erst zu einem Skandal kommen, da bin ich mir sicher.« Julianna sah ihre Freundin verblüfft an. Es war schon erstaunlich, wie Annabelle es schaffte, einen solchen Unsinn zu erzählen, ohne dabei rot zu werden.
Eliza stellte ihre Teetasse auf die Untertasse und verdrehte genervt die Augen.
»Ach, bitte!«, rief sie. »Jeder weiß doch, dass Roxbury einen Gutteil der vergangenen Nacht hier verbracht hat, und der Mann, der Bescheid weiß, wird ausführlich darüber berichten. Es wird natürlich zum Skandal kommen, machen wir uns keine Illusionen. Die alles entscheidende Frage ist aber doch, Julianna: Was hast du vor, dagegen zu unternehmen?«
»Vielen Dank, Eliza, dass wenigstens du mit der Stimme der Vernunft sprichst«, gab Julianna zurück, obwohl sie bei den deutlichen Worten ihrer Freundin Bauchschmerzen bekam.
»Nun, was aber wirst du in deiner Kolumne schreiben?«, fragte Sophie.
»Ich hoffe, dass ich in der Zwischenzeit eine andere Geschichte auftun werde. Idealerweise brennt ein Paar auf schockierende Weise durch, oder jemand begeht in unseren Kreisen einen Mord. Etwas in der Art könnte die Nachrichten über mich völlig unbedeutend erscheinen lassen. Weil ja eigentlich gar nichts passiert ist.«
»Wir könnten Roxbury ermorden«, schlug Sophie vor und nahm in aller Gemütsruhe einen Schluck Tee.
»Sophie!« Annabelle schnappte nach Luft.
»Der Gedanke hat durchaus seinen Reiz. Allerdings würde man zuerst mich des Mords verdächtigen«, sagte Julianna.
»Julianna!«, rief Annabelle aus.
»Ich habe doch nur einen Scherz gemacht«, meinte Sophie. Dann schüttelte sie stumm in Juliannas Richtung den Kopf. Nein, das war kein Scherz. Eliza bekam die stumme Verständigung mit und grinste.
»Du wirst über deinen eigenen Skandal schreiben müssen, Julianna«, sagte Eliza. »Anderenfalls riskierst du, dass man dich als die Lady mit Klasse entlarvt. Das darfst du nicht zulassen, hörst du? Schon gar nicht wegen dieser ganzen Geschichte!«
»Du verfügst als Einzige über alle Details«, fügte Annabelle hinzu. »Schon gar nicht du-weißt-schon-wer.«
Julianna nickte nachdenklich. »Ich glaube, ihr habt beide recht.«
»Aber was wirst du jetzt wegen Roxbury unternehmen?«, wollte Eliza wissen.
»Was machst du, wenn er sich weigert, dich zu heiraten?«, fragte Annabelle. Über ihren unschuldigen blauen Augen bildete sich eine kleine Sorgenfalte.
»Heiraten? Heiraten?« , echote Julianna. Sie würde auf keinen Fall noch einmal heiraten, und schon gar nicht so einen wie diesen Wüstling. Annabelle, die Gute, war einfach viel zu romantisch und optimistisch.
»Jeder wird denken, er habe die Nacht mit dir verbracht«, bemerkte Sophie. »Und darum wird jeder einen Antrag von ihm
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