Rivalen der Liebe
provozierte ihn zu diesen ungehörigen Aussetzern? Sie stachelte seine Leidenschaft auf die denkbar schlechteste Art an.
War es ihre Schönheit oder ihr gewitzter Verstand? Oder die Art, wie sie an ihrem Tee nippte? Er sah Julianna an, wie verzweifelt sie war, doch selbst in ihrer Verzweiflung war sie wunderhübsch.
Misstrauisch beobachtete Roxbury, wie sie die Teetasse behutsam abstellte und das Glöckchen läutete.
Wenige Augenblicke später kam Penny wieder auf die Bildfläche; in der Hand hielt sie Roxburys ekelhaftes, mit Blut besudeltes Hemd. Ihm zog sich bei der Vorstellung, es anziehen zu müssen, alles zusammen. Die Alternative wäre allerdings, ohne Hemd durch London zu fahren oder um ein anderes Kleidungsstück zu bitten.
»Die Pistolen bitte, Penny«, befahl Lady Somerset kühl.
»Das ist nicht nötig. Ich wollte ohnehin gerade gehen«, versicherte Roxbury hastig und sah sich instinktiv um. Penny hatte die Pistolen bestimmt griff- und schussbereit in unmittelbarer Nähe hinterlegt.
»Zu schade«, bemerkte Julianna ironisch in seine Richtung.
Roxbury verließ das Haus am Bloomsbury Place 24 am frühen Vormittag und fand sich zu seiner Schande gleich einer ganzen Kirchengemeinde gegenüber, die gerade auf der anderen Seite des Platzes aus der Kirche strömte. Einige der Leute sahen ihn und zeigten sogar mit dem Finger.
Er verzog das Gesicht. Ja, er wusste, wie das aussehen musste, wenn er ohne Jackett und Krawatte aus ihrem Haus kam. Aber das blutige Hemd war so ekelhaft, dass er es nicht übers Herz gebracht hatte, es noch einmal anzuziehen. Sein Kutscher Pete war verschwunden, und die armen Pferde hatten die ganze Nacht vor der Kutsche ausharren müssen.
Roxbury blieb also nichts anderes übrig, als mit seiner von einer Kugel zerfetzten Kutsche durch London zu fahren. Dabei trug er ein blutbeflecktes Hemd in der Hand und einen entsetzten Gesichtsausdruck, denn nur langsam wurde ihm das Ausmaß des Skandals bewusst, den er mit seinem Tun heraufbeschworen hatte.
Armut, Ehe oder Trotzreaktion? Nur noch wenige Tage blieben ihm, um eine Entscheidung zu treffen. Aber was für eine Wahl hatte er schon?
Kapitel 25
Zum Glück würden Juliannas Freundinnen da sein, um dem heraufziehenden Sturm zu trotzen. Sie versammelten sich an diesem Nachmittag in ihrem kleinen Salon. Die Vorhänge waren zugezogen und sperrten das Sonnenlicht und den Rest der Welt aus. Penny servierte Tee und Kekse. Sophie brachte ein paar Ausgaben von La Belle Assemblée mit, Annabelle und Eliza kamen auch. Während die eine von ihnen Optimismus verbreitete, sprach die andere unumwunden die Wahrheit aus.
»Man redet in der ganzen Stadt darüber, nicht wahr?«, fragte Julianna und fürchtete sich zugleich vor der Antwort. Sophie knabberte einen Keks. Eliza trank einen Schluck Tee. Das war mit einem doppelten Ja gleichzusetzen.
»Der Mann, der Bescheid weiß, hat es allerdings noch nicht in seiner Kolumne erwähnt«, meinte Annabelle tröstend. Sie schob eine blonde Locke aus den hübschen, blauen Augen.
»Das liegt aber doch nur daran, dass seine Kolumne frühestens morgen erscheinen wird«, wandte Eliza ein, ehe sie einen Zuckerwürfel in ihren Tee plumpsen ließ.
»Und dann wird er es erwähnen«, war sich Julianna sicher. »Und zwar an erster Stelle und in aller Ausführlichkeit. Ich bin ruiniert.«
Keine ihrer Freundinnen schien noch zu wissen, was sie darauf sagen sollte, weshalb die drei Frauen betreten beiseiteblickten. Das Schweigen dehnte sich unangenehm.
Das Problem war einfach, dass im Moment noch schwer abzuschätzen war, welches Ausmaß der Skandal annehmen würde. Niemand konnte sich daran erinnern, dass ein Gentleman schon einmal etwas so Schamloses vor der Tür einer Lady getan hatte. Roxbury hatte nicht nur seine Kutsche die ganze Nacht vor ihrem Haus geparkt, sondern auch noch schmutzige Lieder gesungen! Nicht zu vergessen, wie er vor ihr in die Knie gegangen war und seine Arme um sie geschlungen hatte. Und dann hatte er mitten in der Nacht ihr Haus betreten und war erst am nächsten Morgen wieder gegangen. Nun, und dann war da noch die Sache mit der Pistole …
Julianna versuchte das Ausmaß des Skandals einzuschätzen. Auf der Skala der Skandale rangierten diese Verirrungen Roxburys weit über einem dritten in Folge mit demselben Partner getanzten Walzer auf einem Ball und sicher auch noch über dem Erwischt-Werden in einer kompromittierenden Situation. Es war allerdings nicht gar so schlimm wie der Mord an
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