Rivalen der Liebe
sobald sie wieder zu Verstand kam, würden vermutlich die Pistolen in ihren Händen auftauchen. Er hoffte nur, bis dahin schon weit fort zu sein.
»Warum seid Ihr eigentlich noch hier?«, fragte Julianna. »Wenn Ihr auch nur einen Funken Anstand im Leib hättet, wärt Ihr beim ersten Licht des Tages verschwunden.«
Ihre Worte lösten sofort Schuldgefühle in Roxbury aus, doch er zwang sich, sie zu ignorieren; er genoss diesen Moment zu sehr, um ihn vorzeitig zu beenden. »Ich brauchte dringend einen Kaffee, als ich heute Früh aufgewacht bin. Ich habe übrigens ausgeschlafen; mir scheint, es ist gestern doch recht spät geworden«, erwiderte Roxbury mit einem selbstbewussten Lächeln.
Das hielt jedoch nicht lange an, denn plötzlich wurde ihm der Ernst ihrer Lage bewusst. Er kokettierte da mit etwas, das er als echter Gentleman unbedingt hätte vermeiden müssen. Mit anderen Worten: Er war ein betrunkener, fauler Tunichtgut, der jede nur erdenkliche Art von Chaos und Verheerung über Juliannas Leben gebracht hatte. Und das nur, damit er auf ihre Kosten seinen Spaß bekam. Bei diesem Gedanken wurde Simon regelrecht übel, und er stellte die Kaffeetasse mit zittrigen Händen ab.
»Ihr werdet mich vernichten«, flüsterte sie.
»Meine liebe Lady Somerset, das habe ich bereits getan«, gab er spontan zurück. Roxbury versuchte, dabei eindrucksvoll und sorglos zu klingen, obwohl er sich ganz und gar nicht so wohl fühlte in seiner Haut, wie er tat. Ja, sie hatte es schon irgendwie verdient. Trotzdem war es, im Licht des nächsten Morgens betrachtet, nicht so lustig, wie er es sich vorgestellt hatte.
Danach schwiegen beide sehr lange. Sie nippte still an ihrem Tee; er sah stumm zur Decke. Er bemerkte, wie ihre Hand zitterte, ohne zu wissen, ob Angst oder Wut der Grund dafür war. Jedes Bisschen triumphierenderes Rachegefühl löste sich gerade in Luft auf. Sein Kopf begann zu schmerzen, und die Schuld brannte Löcher in seinen Magen. Sein Arm begann schmerzhaft zu pulsieren.
Andererseits war Lady Somerset aber keine unverheiratete junge Frau mehr, um deren Hand er nun unter allen Umständen würde anhalten müssen, und zwar genau hier und jetzt. Da sie verwitwet war, galten diese Anstandsregeln alle nicht mehr. Was im Klartext bedeutete, dass er nicht vor ihr auf die Knie gehen musste, mit oder ohne Hemd, aber definitiv hier in ihrem Frühstückszimmer. Obwohl er nicht die Absicht hegte, sich eine Frau zu nehmen, würde er doch unglaublich viel gewinnen, wenn er genau das tat, schoss es Roxbury durch den Kopf.
Roxbury vermutete jedoch, dass Julianna eher die gesellschaftliche Ächtung akzeptieren, ihren Namen ändern und in ein anderes Land ziehen würde, ehe sie einem möglichen Antrag zustimmte und seine Frau würde.
Er trank seinen Kaffee und riskierte gelegentlich einen Blick in ihre Richtung. Sie funkelte ihn wütend an. Und sah dabei ganz besonders entzückend aus.
Die Haare hatte sie locker hochgesteckt. Ihre Augen wirkten heute Morgen nicht ganz so groß wie sonst, weil sie noch etwas verschlafen war. Das ließ die bezaubernde Lady Somerset in seinen Augen aber nur noch geheimnisvoller wirken.
Er wusste eigentlich nicht allzu viel über sie, außer dass sie immer sehr zugeknöpft und angespannt war, wenn sie einander begegneten. Sie liebte ihr Schreiben mit einer Inbrunst, die er bei Männern nur selten wahrnahm, und sie war mutig. Ihr verstorbener Ehemann war den Gerüchten zufolge ein schlechter Mann gewesen. Als einzige Frau in London war sie nicht sofort seinem Charme erlegen.
Was um alles in der Welt trieb er hier überhaupt?
Er hatte falsches Spiel getrieben mit dem Ruf einer angesehenen Frau. Und jetzt saß er uneingeladen an ihrem Frühstückstisch und trank ihren Kaffee? Er hatte ihr nachts ein Ständchen dargebracht, und die ganze Nachbarschaft hatte sich daran beteiligt. Sie hatte daraufhin eine Kugel in seine Kutsche und seinen Arm gejagt.
Die gestrige Nacht war wie in einem Nebel in seinem Erinnerungsvermögen verschwunden, und nur langsam stieg jetzt das volle Ausmaß des Skandals auf, den er da über sie beide beschworen hatte und der sie beide wohl auf immer zusammenschweißen würde.
Sein Verhalten war alles andere als eines Gentlemans würdig gewesen. Aber Madam Scharfschütze im Nachthemd hatte sich auch nicht gerade wie eine Dame verhalten, sagte Simon sich.
Was war bloß so besonders an ihr, dass er sich wieder verhielt wie ein kopfloser, unkontrollierbarer Junge? Was
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