Rivalen der Liebe
…
Sie seufzte und wünschte, irgendwas könnte sie von ihren Gedanken ablenken. Aber es war unmöglich, nicht an Knightlys Verrat und Roxburys Heiratsantrag zu denken.
Eure Dienste werden nicht länger benötigt, hatte Knightly ihr schlicht mitgeteilt. Kein Wort zu viel. Kein Dank, kein Lob, kein Wort des Bedauerns!
Der berechnende, logische Teil von ihr konnte den Verleger durchaus verstehen, aber ach! Es schmerzte so sehr. Ihr Stolz hatte heute einen empfindlichen Dämpfer einstecken müssen. Sie war ein Schreibfräulein! Sie war eine Wegbereiterin; sie ging mit ihrer Arbeit in die Geschichte ein! Julianna wusste, wie viel Befriedigung es bereiten konnte, das eigene Dach über dem Kopf und eine volle Speisekammer aus eigener Tasche zu finanzieren. Sie wusste es und empfand eine große Freude dabei, ihre eigene Herrin zu sein. Ihre eigene Beschützerin.
Knightly hatte gegeben, und Knightly hatte genommen. Sie hatte geglaubt – nein, gehofft – er werde die Frauen, die seine Zeitung zu diesem großen Erfolg gebracht hatten, mehr unterstützen.
Die Enttäuschung über Knightlys Verrat war die eine Sache – die Sorge um ihre Existenz war die andere. Wie sollte sie jetzt das Geld für besagtes Dach und besagte Speisekammer aufbringen?
Sie bräuchte nur Ja zu sagen …
Julianna stand auf und begann, auf und ab zu gehen. Als Sophie hier noch gewohnt hatte, war jede nur verfügbare Oberfläche mit einer wahren Explosion von weiblichem Krimskrams verstopft gewesen: Haarbänder, Romane von Minerva Press, Schuhe, Ohrstecker, Ausgaben von La Belle Assemblée und der London Weekly , Einladungen, Briefe und allerlei Kinkerlitzchen.
Jetzt waren alle Möbeloberflächen leer. Man konnte den Raum als Ganzes erkennen – den blauweiß gestreiften Polstersessel neben dem schwarzweißen Etoile-Lehnstuhl. Die Wände waren hellblau, und die Vorhänge blieben stets offen, damit Julianna ihren Nachbarn nachspionieren konnte.
Sie bräuchte nur Ja zu sagen …
Das würde all ihre Probleme lösen und auch seine, nicht wahr? Ein Trauschein und ein bisschen ins Land gegangene Zeit würden schon einiges an ihrer aktuellen Situation ändern. Die gesellschaftliche Krise würde verblassen. Sogar Sophie und Brandon, deren Ehe und Hochzeit zu dem Skandalösesten gehörten, was in jüngster Zeit passiert war, wurden wieder überall willkommen geheißen. Natürlich schadete es in dem Zusammenhang auch nicht, dass der fragliche Mann ein doppelter Duke war – so blind war Julianna nicht, immerhin kannte sie sich mit den menschlichen Untiefen aus.
Roxbury war ein Viscount und würde eines Tages den Titel eines Earls tragen. Das musste doch auch etwas zählen, überlegte sie und drehte noch eine Runde im Zimmer. Danach blieb sie lange vor dem offenen Kamin stehen.
Ja. Die Ehe und ein Titel und ein bisschen Zeit, die ins Land ging, konnten die Dinge durchaus ändern. Aber nicht von Grund auf. Man konnte keinen alten Wein in neuen Schläuchen verkaufen, und jeder wusste doch, wie idiotisch es war zu glauben, man könne einen Mann ändern.
Vielleicht war eine andere Frau in der Lage, eine solche Herkulesaufgabe zu bewältigen. Aber Julianna hatte es bereits einmal versucht und war an dieser besonderen Herausforderung gescheitert.
Julianna erinnerte sich noch recht gut an einen Nachmittag vor ein paar Monaten, als sie mit Sophie über ein Gerücht geplaudert hatte, das sie irgendwo aufgeschnappt und kurz darauf in ihrer Kolumne aufgegriffen hatte. Es ging um Roxbury, der damals parallel zwei Affären mit zwei bis aufs Blut miteinander verfeindeten Frauen unterhalten hatte – inzwischen waren diese beiden Frauen natürlich die besten Freundinnen. Zwei Frauen auf einmal – und womöglich war das nur die Spitze des Eisbergs … Gott allein wusste, was er des Nachts noch so alles trieb. Vielleicht möchte der liebe Gott das auch alles gar nicht so genau wissen , überlegte sie, während sie ihr Auf und Ab wieder aufnahm und aus dem Grübeln einfach nicht herauskam.
Roxbury liebte die Frauen – viele Frauen. Die Vorstellung, Roxbury würde sie nie betrügen, war also lächerlich. In der Ehe, wie er sie ihr angetragen hatte – nämlich aus purer Vernunft – konnte sie nicht erwarten, dass er ihr treu blieb. Vor allem dann nicht, wenn sie nicht das Bett mit ihm teilte.
Oder wollte sie das vielleicht doch?
Sie fühlte sich heftig zu ihm hingezogen. In Gedanken durchlebte Julianna den Kuss im Mondschein häufiger als schicklich war. Sie
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