Rivalin der Götter erbin3
Nichtexistenz zu befördern, hielt das nicht lange an; irgendwann vergaßen wir, dass wir tot sein müssten, und begannen, wieder zu denken. Yeine konnte mich töten, doch das würde ich nie von ihr verlangen. Einige meiner Geschwister und Naha konnten und würden es tun, weil sie wussten, dass das Leben manchmal unerträglich war. Doch ich brauchte sie nicht länger. Die letzten beiden Nächte hatten bestätigt, was ich längst vermutete: Die Dinge, die mich früher nur geschwächt hatten, konnten mich jetzt töten. Wenn ich mich gegen den Schmerz wappnen konnte, konnte ich sterben, wann immer ich wollte, indem ich einfach weiterhin gegensätzliche Gedanken wälzte, bis ich ein alter Mann wurde und dann eine Leiche.
Vielleicht war es sogar noch einfacher als das. Ich musste jetzt essen, trinken und Abfallprodukte ausscheiden. Das bedeutete, dass ich verhungern oder verdursten konnte und dass meine Eingeweide und die anderen Organe tatsächlich notwendig waren. Wenn ich sie beschädigte, wuchsen sie möglicherweise nicht nach.
Was wäre wohl der aufregendste Weg, Selbstmord zu begehen?
Tatsache war: Ich wollte nicht als alter Mann sterben. Ka’hel
hatte damit vollkommen recht. Wenn ich schon sterben musste, dann wollte ich als ich selbst sterben – als Si’eh, der Gauner, wenn schon nicht als Kind. Meine Flamme hatte im Laufe meines Lebens hell gelodert. Was sollte falsch daran sein, auch im Tode zu lodern?
Bevor ich das mittlere Alter erreicht hatte, beschloss ich. Sicherlich konnte ich mir bis dahin etwas Interessantes ausdenken.
Mit diesem ermutigenden Gedanken schlief ich endlich ein.
Ich stand auf einer Klippe außerhalb der Stadt und richtete meinen Blick auf das Wunder Elysium-im-Schatten und das aufragende, weit ausgebreitete Grün des Weltenbaums.
»Hallo Bruder.«
Ich drehte mich um und blinzelte, obwohl ich eigentlich nicht überrascht war. Als die ersten sterblichen Kreaturen Gehirne entwickelten, die mehr konnten, als nur das Herz zum Schlagen zu bringen und an Fleisch zu denken, hatte mein Bruder Nsana Erfüllung in den zufällig aufbrechenden Zwischenräumen ihrer Gedanken im Schlaf gefunden. Er war schon davor ein Wanderer gewesen, mein engster Spielgefährte, wild und frei wie ich. Doch irgendwie traurig. Leer. Bis die Träume der Sterblichen seine Seele füllten.
Ich lächelte ihn an und verstand endlich die Trauer, die er im Laufe jener leeren Jahre verspürt haben musste, bevor er zu seiner Natur fand.
»Also das ist der Beweis«, sagte ich. Ich hatte gerade mal wieder Taschen, also steckte ich meine Hände hinein. Meine Stimme klang höher; ich war wieder ein Junge. Wenigstens in den Träumen war ich wieder ich selbst.
Nsana lächelte und ging über einen Pfad mit Blumen, die sich auch ohne Wind bewegten, auf mich zu. Kurz fackerte seine wahre Gestalt vor mir auf: Gesichtslos, in der Farbe von Glas, refektierte er unsere Umgebung durch die verzerrenden Linsen
von Extremitäten, einem Bauch und dem sanften Schwung seines Gesichts. Dann füllte er alles mit Details und Farben, wenn auch nicht mit denen eines Sterblichen. Er tat nichts so wie die Sterblichen, wenn er die Wahl hatte. Deshalb hatte er eine Haut wie feines Gewebe gewählt, ungebleichter Damast mit reliefartigen, spiralförmigen Mustern. Sein Haar sah aus wie dunkler Rotwein, der beim Ausgießen eingefroren war. Und seine Augen waren wie der Bernstein von poliertem, versteinertem Holz – wunderschön, aber irritierend wie die Augen einer Schlange.
»Der Beweis wofür?«, fragte er und blieb vor mir stehen. Seine Stimme war leicht neckend, als ob nur ein Tag vergangen war, seitdem wir uns gesehen hatten, und nicht eine Ewigkeit.
»Meine Sterblichkeit«, sagte ich. »Sonst hätte ich dich nicht gesehen.« Ich lächelte, aber ich wusste, er würde die Wahrheit in meiner Stimme hören. Er hatte mich schließlich für die Sterblichen verlassen. Nun, ich war darüber hinweg; ich war jetzt ein großer Junge. Allerdings würde ich nicht so tun, als ob es nicht geschehen war.
Nsana stieß einen leisen Seufzer aus und ging an mir vorbei. Am Rande der Klippe blieb er stehen. »Götter können auch träumen, Si’eh. Du hättest mich jederzeit hier finden können.«
»Ich hasse träumen.« Ich scharrte mit einem Fuß auf dem Boden.
»Ich weiß.« Er stemmte seine Hände in die Taille und blickte mit ofener Bewunderung über die Traumlandschaft, die ich erschafen hatte. Sie war nicht einfach nur eine Erinnerung, wie es
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