Rivalin der Götter erbin3
Schritte kamen von hinten auf mich zu. Etwas bewegte sich am Rand meines Sichtfeldes. Ich glaubte kurz, er würde sich neben mich setzen, doch das wäre für uns beide zu seltsam gewesen. Er ging an mir vorbei und blieb am Rand des Altars stehen. Dabei schaute er durch das Glas hinaus in die Dunkelheit der Nacht und auf den durch Äste verdeckten Horizont.
Ich starrte seinen Rücken an. Er trug einen langen Ledermantel, der fast weiß gebleicht war. Sein weißes Haar war ebenfalls lang und in eine schwere Mähne aus dicken Stricken gedreht; ähnlich wie die temanischen Kabellocken, doch ohne jede Verzierung außer einer Spange, die sie sauber und kontrolliert zusammenhielt. Weiße Hose und geschnürtes Hemd. Braune Stiefel. Ich war auf verdrehte Art zufrieden, dass er keine weißen Stiefel gefunden hatte.
»Ich werde selbstverständlich Nahadoths Angebot annehmen«, sagte er. »Wenn es in meiner Macht liegt, dich zu heilen oder zumindest dein Altern zu beenden, dann werde ich alles tun, was ich kann.«
Ich nickte. »Danke.«
Er erwiderte das Nicken. Obwohl er den Horizont ansah, ruhte sein Blick in der Refexion des Fensters auf mir. »Hast du die Absicht, bei diesen Sterblichen zu bleiben?«
»Ich denke schon. Ahad möchte, dass ich ihn auf dem Laufenden darüber halte, was die Arameri tun.« Dann fiel es mir ein.
»Natürlich, du bist ja Ahads Boss, also …«
»Du darfst bleiben.« Sein Blick war durchdringend. Ihm fehlte
nichts seiner alten Kraft, trotz seines sterblichen Zustands. »Und du solltest bleiben, um in der Nähe der Sterblichen zu sein, die du liebst.«
Ich runzelte die Stirn. Sein Blick ließ mich los. »Ihre Leben sind zu kurz«, fügte er hinzu. »Man sollte diese Zeit nicht als selbstverständlich hinnehmen.«
Er meinte Glees Mutter. Und vielleicht auch die erste Shahar Arameri. Er hatte sie trotz ihrer Besessenheit und ihres zerstörerischen Wahnsinns geliebt.
»Wie denkst du darüber, dass die Arameri dich fallen lassen?«, fragte ich – nur ein klein wenig gemein, denn ich hatte nicht die Energie für wahre Gemeinheit. Ich wollte nur das Thema wechseln.
Ich hörte Leder knirschen und Haar rascheln, als er mit den Schultern zuckte. »Sie sind sterblich.«
»Also vergießt du keine Tränen, hmm?« Ich seufzte, lehnte mich rücklings gegen den Stein und streckte meine Arme über den Kopf. »Die ganze Welt wird ihnen folgen und sich von dir abwenden. Es geschieht bereits. Vielleicht nennen sie es weiter Die Helligkeit, doch es wird in Wirklichkeit Das Zwielicht sein.«
»Oder Die Dämmerung.«
Ich blinzelte. Daran hatte ich nicht gedacht. Ich stützte mich auf einen Ellenbogen und knif meine Augen in seine Richtung zusammen. Er stand da wie immer: Beine auseinander, Arme verschränkt, bewegungslos. Derselbe alte Vater des Tages, sogar in sterblichem Fleisch. Er änderte sich nicht.
Außer.
»Warum hast du Glee Shoth gestattet zu leben?«, fragte ich.
»Aus demselben Grund, aus dem ich ihrer Mutter gestattete zu leben.«
Ich schüttelte verwirrt den Kopf. »Oree Shoth? Warum hättest du sie töten sollen?« Ich schaute wütend. »Weil sie sich deinen Scheiß nicht gefallen ließ, ist es das?«
Wenn ich ihn nicht im Glas beobachtet hätte, hätte ich niemals
geglaubt, was ich sah. Er lächelte. »Nein, das tat sie nicht. Doch das meinte ich nicht. Sie war ebenfalls eine Dämonin.«
Ich war sprachlos. In der folgenden Stille drehte Itempas sich endlich zu mir herum. Ich zuckte entsetzt zusammen, obwohl er noch genauso aussah wie das letzte Mal, als ich ihn gesehen hatte – bis auf die Haare und die Kleidung. Und dennoch war etwas an ihm anders, etwas, das ich nicht definieren konnte.
»Gedenkst du Remath Arameri und ihre Kinder zu töten?«, fragte er.
Ich erstarrte. Er wusste es. Ich sagte nichts, und er nickte, da er sein Ziel erreicht hatte.
Plötzlich war ich voll nervöser Spannung. Ich stand auf und steckte En in eine Tasche. Der Altar war zu klein, um wirklich auf und ab laufen zu können. Ich versuchte es dennoch. Ich ging hinüber zu ihm und blieb stehen, als ich meine Spiegelung neben seiner im Glas sah. Er drehte sich meinem Blick folgend auch um, und wir schauten uns an.
Ich: klein, drahtig, abwehrend und verwirrt. Ich hatte mir während meiner fortschreitenden Reife eine gebückte Haltung angewöhnt, weil ich es nicht mochte, so groß zu sein.
Er: groß, mächtig und elegant, wie er es immer gewesen war. Dennoch waren seine Augen so voller Wissen und
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