Rivalin der Götter erbin3
formte sich um uns herum. Sie schützte uns vor den jetzt brodelnden Wellen und der Gischt. Jetzt waren wir sicher und konnten ungestört beobachten, wie zerklüftete, mit Seetang umwickelte und von Korallen überkrustete Tagsteine sich unter uns und um uns herum erhoben. Die kleinsten waren so groß wie das »Arme der Nacht«. Trümmer, die seit Jahrhunderten ungestört hier lagen, wurden jetzt gehoben. Sie taumelten aufwärts, Steine stapelten sich übereinander und fügten sich zusammen, Wände formten sich und warfen ihre Krusten ab. Unter unseren Füßen erhoben sich Innenhöfe und
nahmen den Platz der brausenden Wellen ein. Aus dem Nichts formten sich Strukturen.
Dann war es vorbei. Die Gischt legte sich. Wir sahen uns um und stellten fest, dass wir auf wahrer Pracht standen.
Man nehme eine Nautilusmuschel und schneide sie in der Mitte durch. Wenn man jetzt ihre verwirbelten, in Kammern unterteilten Ebenen anschaut, die sich dem undurchlässigen Zentrum nähern, dann sieht man, wie sie dort einen Gipfel bilden. Auf diesem Gipfel standen wir gerade. Man beachte ihre asymmetrische Anordnung, ihre chaotischen Wiederholungen und die Anmut ihrer Verbindungen. Dann bedenke man die Kurzlebigkeit ihrer Existenz – das ist die Schönheit des sterblichen Lebens.
Dies war nicht Elysium, alt oder neu. Es war kleiner als beide Vorgängerpaläste und trügerisch einfacher. Die früheren Gebäude waren kompakt und hoch erbaut worden – diese kuschelten sich an die Oberfäche des Meeres. Statt scharfer Türme, die in den Himmel stachen, gab es hier niedrige, sanft abfallende Gebäude, die durch Dutzende filigraner Brücken verbunden waren. Das Fundament – der Palast war auf einer Art konvexen Plattform erbaut – war seltsam und wies viele Lappen auf. Holme und Markierungen liefen in alle Richtungen auseinander. Die Oberfäche glänzte weiß und perlmuttartig im Dämmerlicht. Das war die einzige Ähnlichkeit mit Elysium.
Ich spürte die Macht, die in jede Balustrade eingewebt war und das riesige Bauwerk über Wasser hielt. Doch da war noch mehr als Magie. Etwas an dem Gebäude selbst arbeitete an seinem Auftrieb. Wäre ich noch ein Gott gewesen, hätte ich vielleicht verstanden, was es war, denn es gibt sogar für uns Regeln, und es war Yeines Natur, ein Gleichgewicht anzustreben. Vielleicht machte sich die Magie die Meereswellen auf irgendeine Weise zunutze oder absorbierte die Kraft der Sonne. Vielleicht war das Fundament hohl. Was immer es war, es war ofensichtlich, dass dieser neue Palast schwamm und mit Hilfe von Magie bereitwillig über
das Meer reiste. Er würde die wertvolle Ladung innerhalb seiner Mauern verteidigen, und sei es nur, weil keine sterbliche Armee ihn angreifen konnte.
Die Sterblichen drehten sich herum. Die meisten waren sprachlos vor Ehrfurcht; der Rest gab entsetzte, entzückte und verständnislose Laute von sich. Ich ging quer über den trocknenden Tagstein der zentralen Plattform. Yeine und Nahadoth drehten sich um und sahen mich an.
»Nicht schlecht«, sagte ich. »Bisschen sehr weiß, oder nicht?«
Yeine zuckte amüsiert mit den Schultern. »Hattest du an graue Mauern gedacht? Willst du, dass sie sich alle umbringen?«
Ich sah mich um und dachte über die riesige, eintönige Meereslandschaft nach, die uns umgab. Ganz leise hörte ich die Brandung und Wind, ansonsten herrschte Schweigen. Ich zog eine Grimasse. »Eins zu null. Doch das heißt nicht, dass sie dieselbe langweilige, karge Eintönigkeit der letzten beiden Paläste erdulden müssen, oder? Sie gehören jetzt dir. Finde einen Weg, um sie daran zu erinnern.«
Sie dachte einen Moment nach. Nahadoth allerdings lächelte. Plötzlich wurde der Tagstein unter unseren Füßen weich und verwandelte sich in dicken, schwarzen Lehm.Wo mein Blick auch hinfiel – auf Geländern, entlang den Brückenrändern –, hatte der Tagstein sich umgestaltet in Tröge voller Erde.
Yeine lachte und ging zu Naha. In ihren Augen stand ein neckender Ausdruck. »Ist das ein Hinweis?« Sie streckte ihre Hand aus, und er nahm sie. Ich kam nicht umhin, die ungezwungene Kameradschaft zwischen ihnen zu bemerken und wie weich plötzlich Nahadoths Cabochonaugen waren, wenn er sie anschaute. Sein sich ständig veränderndes Gesicht wurde ebenfalls ruhig. Es nahm eine andere, aber dennoch bekannte Form an: braune Haut, kantig und Darre. Ich bekämpfte den Drang, Deka einen Blick zuzuwerfen, um zu sehen, ob er es bemerkt hatte.
»Wir haben schon
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