Rivalin der Götter erbin3
erneut. »Ich versichere Euch, ich habe nichts getan, um Lord Si’eh hierher zu rufen. Ich habe an ihn gedacht, ja …« Sie warf mir einen Blick zu. Ihr Ausdruck war plötzlich niedergeschlagen. Das verwirrte mich. »Ich sprach seinen Namen. Aber nicht, weil ich ihn hier haben wollte – ganz im Gegenteil. Ich war zornig. Es war ein Fluch.«
Ich starrte sie an. Ein Fluch? Ihr Stimmungsumschwung hatte das bewirkt, was ich nicht geschaft hatte. Naha atmete aus und lehnte sich zurück.
»Ein Fluch ist einem Gebet sehr ähnlich«, sagte er nachdenklich. »Wenn du seine Natur gut genug kanntest …«
»Ein Gebet hätte mich nicht aus deiner Leere gerissen«, sagte ich und sah an mir hinunter. Die Länge meiner Gliedmaßen war obszön. Meine Handfächen waren eineinhalbmal so groß, wie sie sonst gewesen waren! Ich hätte kleine, geschickte Kinderfinger haben müssen – nicht diese grässlichen Pranken. »Außerdem hätte es mir das hier nicht antun können. Nichts hätte das hier
anrichten dürfen.« Jetzt, da Naha meine Stärke wiederhergestellt hatte, konnte ich den Irrtum berichtigen. Ich setzte meinen Willen ein, um wieder normal zu werden.
»Halt.« Nahadoths Wille legte sich wie ein Schraubstock um meinen, bevor ich die Verwandlung beginnen konnte. Erschrocken erstarrte ich. »Es ist nicht länger sicher für dich, deine Gestalt zu ändern.«
»Nicht länger sicher?«
Er seufzte. »Du verstehst es nicht.« Also sah er mir in die Augen und ließ mich wissen, welche Erkenntnisse er und Yeine in den acht Jahren, seit alles schiefgegangen war, gewonnen hatten.
Es gibt eine Grenze zwischen Gott und Sterblichem, die nichts mit Unsterblichkeit zu tun hat. Sie ist materiell: beruhend auf Substanz, Zusammensetzung und Flexibilität. Sie war der Grund, weshalb die Dämonen am Ende schwächer waren als wir, obwohl einige von ihnen unsere ganze Macht besaßen. Sie konnten diese Grenze überqueren und zu Gottmaterial werden. Doch es kostete große Anstrengung, und sie konnten es nicht für längere Zeit tun, denn es war nicht ihr natürlicher Zustand. Andere Sterbliche konnten diese Grenze gar nicht überschreiten. Sie waren in ihrem Fleisch eingeschlossen: alterten mit ihm, schöpften Stärke aus ihm und wurden durch sein Versagen geschwächt. Sie konnten es nicht in bestimmte Formen bringen; ebenso wenig wie die Welt, die sie umgab – es sei denn, sie benutzten die primitive Kraft ihrer Hände und ihres Geistes.
Das Problem war – so gab Nahadoth mir im Geiste zu verstehen –, dass ich nicht länger vollständig Gott war. Meine Substanz war irgendwo zwischen Gottmaterial und Sterblichkeit und wurde im Laufe der Zeit immer sterblicher. Ich konnte mich selbst immer noch verändern, wenn ich wollte – wie ich es beispielsweise getan hatte, als ich hier in Katzenform eintraf. Doch es würde nicht einfach sein. Es konnte schmerzhaft sein, Verletzungen an meinem Fleisch oder sogar dauerhafte Verzerrungen verursachen.
Außerdem würde der Tag kommen – vielleicht heute, vielleicht ein andermal –, an dem ich nicht länger in der Lage war, mich zu formen. Wenn ich es dann versuchte, würde ich sterben.
Ich starrte ihn an und war wirklich angsterfüllt.
»Was versuchst du mir zu sagen?«, füsterte ich, obwohl er nichts gesagt hatte. Sterbliche Redensart. »Naha, was sagst du da?«
»Du wirst ein Sterblicher.«
Ich atmete tiefer. Ich hatte nicht tiefer atmen wollen – oder zittern oder schwitzen oder wachsen oder zum Mann heranreifen. Mein Körper tat all das von allein. Mein Körper: fremd, befeckt, außer Kontrolle.
»Ich werde sterben«, sagte ich. Mein Mund war trocken. »Naha, älter zu werden ist wider meine Natur. Wenn ich so bleibe, wenn ich älter werde, falls ich stolpere und kräftig genug hinfalle, werde ich wie Sterbliche sterben.«
»Wir werden eine Möglichkeit finden, dich zu heilen …«
Ich ballte meine Fäuste. »Lüg mich nicht an!«
Nahas Maske zerbrach und wurde durch Trauer ersetzt. Ich erinnerte mich an zehn Millionen Nächte auf seinem Schoß, in denen ich um Geschichten gebettelt hatte. Seine wunderschönen Lügen – ich hatte sie durchschaut. Er hielt mich in seinen Armen und erzählte mir von wirklichen und erfundenen Wundern. Ich war froh darüber, niemals erwachsen zu werden. Er sollte mich für immer anlügen.
»Du wirst älter werden«, sagte er. »Wenn du deine Kindheit hinter dir lässt, wirst du schwächer werden. Du wirst Nahrung benötigen
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