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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Kapitulation, genau wußte er das gar nicht, und stolperte in ein Restaurant neben dem Friseurladen, in dessen Fenster ein Schild verkündete: HAARESCHNEIDEN & RASIEREN 1 VIERTELDOLLAR .
    Drinnen war es kühl und dunkel, kiefernholzgetäfelte Wände, der süßliche Harzduft kämpfte mit den Küchendünsten: gekochte Würstchen, gebratene Zwiebeln, Rinderbrühe, in der Pfanne brutzelndes Schmalz. Stanley konnte zuerst gar nichts sehen, benommen vom Fahren und von der Sonne, und das Schwungrad in seinem Inneren, unterhalb des Brustbeins, drehte sich ungehemmt weiter, es war nicht sein Herz, es war etwas anderes, der umgelegte Schalter, er fuhr Vollgas, alles raste, raste vorwärts. Was er wollte? Ein Sandwich, sonst nichts. Und etwas zu trinken. Sodawasser. Eine Coca-Cola. Eine Kräuterlimo. Aber wieso war es so dunkel hier? Es dauerte einen Moment, alles sauste und wirbelte, obwohl er regungslos im Raum stand, von allen Gästen beobachtet, bis ihm klar wurde, daß er immer noch die Schutzbrille aufhatte. Und daß diese Brille mit einem schlierigen, undurchsichtigen Belag aus Straßendreck und toten Insekten verkrustet war, so daß der Tag zur Nacht, Freude zu Leid wurde und Furcht entstand, wo es nichts zu fürchten gab. Stanley hob die Schutzbrille an und schob sie sich auf die Stirn.
    Und sah... eine Kellnerin. Sie stand dicht vor ihm, mit ihren weiblichen Formen, den hübschen, interessanten, fein geschnittenen weiblichen Gesichtszügen – und Augen, in denen eine Frage lag. »Möchten Sie zu Mittag essen, Sir?« sagte sie, und alle im Raum, die Leute an der Theke und an den dunklen Holztischen, harrten seiner Antwort.
    Stanley: »Ja. Ja, das wäre gut. Mittagessen, ja.«
    Die Kellnerin: »Darf ich Sie zu einem Tisch bringen?«
    Stanley: »Ja. Gewiß. Natürlich. Genau das brauche ich jetzt. Einen Tisch.« Aber er rührte sich nicht.
    Die Kellnerin: »Vielleicht möchten Sie sich erst ein bißchen saubermachen, im Waschraum?«
    Stanley: »Wie bitte?«
    Die Kellnerin (es entstand jetzt Unruhe an der Tür, da die Menge, die sich um den Mercedes geschart hatte, allmählich auseinanderging und in das Restaurant drängte, um bei einem Glas Wasser und ein paar Crackern einen eingehenden Blick auf die staubige Erscheinung in dem langen flatternden Mantel zu werfen): »Ich sagte, vielleicht möchten Sie sich saubermachen. Der Waschraum ist hinten im Gang, die erste Tür links.«
    Und dann war Stanley wieder in Bewegung, das Schwungrad rotierte, den Gang entlang und in den Waschraum mit Toilette und Waschbecken, an der Wand ein Kalender vom letzten Jahr. Mit einer einzigen Geste zog er sich Lederkappe und Schutzbrille herunter, schüttelte den Mantel ab und fand einen Haken dafür an der Tür. Er stand über dem Klosett und erleichterte sich, dabei warf er den Kopf zurück und blickte empor zu dem trüben Fleck des von Tauben verdreckten Oberlichts, dessen Glas mit Hühnerdraht verstärkt war. Der Klang seines Urins auf dem Porzellan war ein höchst prosaisches Geräusch, ein Prasseln und Tröpfeln, das ihn zu der Sommerfrische in den Adirondacks zurückversetzte, wo er und Harold ihr Wasser an den Felsen abgeschlagen hatten, heimlich wie Irokesen auf dem Kriegspfad, und Mama hatte es nie gemerkt. Er sah alles vor sich: die Vorgebirge aus Granit, Blöcke von grauverwittertem Fels, geschichtet wie die Häute einer Zwiebel, die vor dem eisenfarbenen Wasser aufragenden Kiefern und seinen Fisch, dieses glitzernde, schillernde Ding, das er aus verborgenen Tiefen gezogen hatte, und der Führer sagte dazu, das sei die größte Seeforelle, die er je gesehen habe, und Stanley könne stolz darauf sein – und er war auch stolz.
    Er beruhigte sich jetzt. Der Schalter ging wieder aus. Alles in Ordnung, nur die Nerven, sonst nichts. Er ließ das Wasser ins Becken laufen, und auch das tat gut, das Geräusch, der Geruch im Waschraum, und dann sah er in den Spiegel, doch da war nichts. Niemand. Kein Mensch. Kein Stanley Robert McCormick, Sohn von Cyrus Hall McCormick, dem Erfinder der mechanischen Mähmaschine. Nur die Wand hinter ihm und die Kabine mit dem Klosett darin. Es war ein Trick, so mußte es sein, ein Scherzspiegel, auf dem die Wand hinter ihm genau abgemalt war, geschützt von einer Scheibe Fensterglas. Er hob die Hand an das Glas und berührte es, und das war seltsam und erschreckend, denn er konnte es spüren, hart und real, und doch sah er dort nicht das Abbild seiner Hand.
    Der Schalter. Er war immer noch aus, fest und

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