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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zuhalten mußte.
    Natürlich holte er sich eine Erkältung.
    Und seine Mutter, forsch und kritisch, umkreiste sein Krankenbett Tag und Nacht, als hätte alle Ärzte und Krankenschwestern die Pest dahingerafft. Sie nötigte ihm jede Viertelstunde eine Rinderbrühe auf, überschwemmte ihn mit jedem erdenklichen Sirup und Tonikum, verbrühte ihn mit Mentholdämpfen und Wärmflaschen. »Das kommt von deiner Schürzenjägerei«, schalt sie und putzte ihm mit einem kampfergetränkten Taschentuch die Nase.
    »Schürzenjägerei? Aber ich habe doch gar nicht...«
    »Na, wie nennst du es denn? Gewiß ist das keine Brautwerbung in irgendeinem Sinn des Wortes, den ich kenne – bei einer jungen Dame, die deine eigene Mutter noch nicht einmal zu Gesicht bekommen hat.«
    »Aber ich habe sie doch eben erst kennengelernt...«
    »Und noch etwas – ich habe mich in der letzten Woche ein wenig erkundigt, und wie man mir erzählte, ist deine Katherine Dexter ein völlig kalter Fisch, die Sorte verwöhntes Frauenzimmer, die nicht einmal dem Dienstmädchen ihrer Mutter ein ordentliches Trinkgeld gibt. Sie ist durch und durch ein Kopfmensch, wie man so hört, praktisch eine Ketzerin, so wie dieser scheußliche Engländer mit seiner Abstammung des Menschen und den Affen, und sie hat nicht viel mehr Ahnung vom Glauben an Gott als eine nackte Ureinwohnerin.«
    Stanley inhalierte die Dämpfe und schluckte die Brühe, sah zu, wie vor seinem Fenster das Laub gelb wurde und herabfiel, hörte dem traurigen Klatschen des Sees gegen die Schindeln zu, und jeden Tag schrieb er einen Brief an Katherine, machmal bis zu zwanzig, dreißig Seiten lang, den er jedesmal sogleich von einem Dienstboten zum Postamt bringen ließ. Er hatte wenig Gelegenheit, in den Spiegel zu sehen – seine Mutter bestand darauf, daß er im Bett blieb –, doch wie er so im Liegen sinnierte, konnte er sich vorstellen, wie lächerlich er in Katherines Augen wirkte. Er fand, er müsse sich ihr erklären, und jede glaubwürdige Erklärung sollte mit seinen Nachteilen anfangen – wenn er ehrlich zu ihr sein wollte. Und er wollte ehrlich sein. Denn das hier war kein frivoler Flirt, keine vergängliche Verliebtheit – es bedeutete die ganze Welt und alles für ihn.
    Einer seiner kürzeren Briefe, alles in allem nur fünfzehn Seiten, eine pedantische, aber ungezügelte Flut von wackligen Konsonanten und schweifwedelnden Vokalen, hob folgendermaßen an, ohne Datum oder Anrede.
    Ich weiß, daß Du weißt, daß ich so nutzlos bin wie ein Kiesel auf Deinem Weg, und niemand ist sich dessen besser bewußt als ich, ein Mann, der nicht das geringste geleistet hat in seinen neunundzwanzig Lebensjahren, ein Schandfleck für die Gesellschaft, ein Parasit, der keinen Cent im Schweiße seines Angesichts verdient, sondern statt dessen im Namen des »Kapitalismus« auf Kosten der Armen und Unterdrückten lebt. Ich habe kein Talent für irgend etwas, habe nie meinen Verstand kultiviert, werde den ganzen Tag und auch die halbe Nacht lang von würdelosen Gedanken verzehrt und lebe in einem widerlichen Sündenpfuhl. Ich kann es Dir nicht übelnehmen, daß Du mich abgewiesen hast, ja ich gratuliere Dir dazu und ermuntere Dich sogar, Butler Ames oder jeden anderen Mann mir vorzuziehen, denn ich schätze Dich mehr als jede andere Frau und wünsche Dir nur das Beste. Du bist mein ein und alles, und ich hoffe, Du glaubst mir, wenn ich Dir sage, daß ich nicht wert bin, den Staub von Deinen Schuhen zu lecken, falls je ein Staubkorn auf ihnen haften bliebe, was ich allerdings bezweifle...
    Ihm war klar, daß er damit ein wenig über die Stränge schlug, doch wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte er es nicht einfach sein lassen, und so wurden seine Briefe immer sklavischer und selbsterniedrigender, bis sogar ein Dr. Fu Manchu geistig gesund gewirkt hätte im Gegensatz zu dem Stanley, den Stanley da offenbarte.
    Katherines Antworten waren kurz und nahmen nie auch nur den leisesten Bezug auf seine Briefe. Sie schrieb vom Wetter, vom letzten Zwist ihrer Mutter mit der Hutmacherin oder einem Oberkellner, von den Ernährungsgewohnheiten der Strumpfbandnatter. Sie untersagte ihm einen Besuch nicht ausdrücklich (obwohl sie andeutete, wie sehr ihr Studium sie beanspruchte), und so ergriff er die erste Gelegenheit und fuhr mit dem Zug nach Boston, sobald seine Mutter ihn aufstehen ließ. Beim erstenmal – Anfang Oktober –blieb er eine Woche, und dann, gegen Ende November, noch einmal zwei Wochen

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