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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ich hoffe, du wirst... also, ich hoffe, daß – ich meine, ich habe mir erlaubt, dich zu, äh, malen ...«
    Sie lächelte ihr geheimnisvolles dünnes Lächeln, riß das Papier auf und hielt die Zeichnung ins Licht, während der Wagen die Straße entlangpolterte wie eine Achterbahn und sie alle drei ihre Hüte festhalten mußten. »Es ist wunderschön«, sagte sie und schenkte ihm ihr Lächeln, zeigte ihm die Zähne, diese Zähne, die er so sehr liebte, und nun kam auch ihre Begleiterin ins Bild, ihr breit grinsendes Engelsgesicht tauchte an Katherines Schulter auf, und auch sie schnurrte lauter Lob. Und Stanley? Nun ja, es war Winter in Chicago, die Sonne milchweiß, der Wind pfiff und überall war Eis, doch in seinem Inneren herrschte Hochsommer, und alle Segelschiffe machten volle Fahrt über den See.
    Doch schon während er auf der frischen Brise, die Katherine mitgebracht hatte, durch die Straßen stob, brauten sich drohende Wellen zusammen. Seine Mutter wollte ihn nicht kampflos ziehen lassen, und als zwei Abende später Katherine mit Miss Martin zum Abendessen kam, brach das Unwetter in all seiner Gewalt los. Nettie hatte auf einem sehr förmlichen Dinner mit acht Gängen und einer Gästeliste von achtzehn Personen bestanden, darunter Favill und Bentley samt Gattinnen, Cyrus jr. mit seiner Frau, Missy Hammond, Anita (die nun seit acht Jahren Witwe war) und ein Sortiment von verschrumpelten religiösen Fanatikerinnen, die alle in den Sechzigern oder gar Siebzigern waren und seit der Schlacht von Bull Run kein freundliches Wort mehr zu irgend jemandem gesagt hatten. Sie präsidierte am Kopf des Tisches, während Cyrus den Ehrenplatz am anderen Ende einnahm, und sie plazierte Katherine gegenüber von Stanley und so nahe bei sich selbst, wie sie es ertragen konnte – das bedeutete, mit dem Puffer einer griesgrämigen presbyterianischen Mumie direkt zu ihrer Rechten und einer weiteren zu ihrer Linken.
    Die Suppe stand kaum auf dem Tisch, da räusperte sie sich, um Katherines Blick einzufangen, und sagte in einer Lautstärke, die auch Cyrus am anderen Tischende hören sollte: »Nun, Miss Dexter, als Wissenschaftlerin können Sie uns doch gewiß Ihre Meinung über Mr. Charles Darwin mitteilen, und über seine perverse Verdrehung von allem, was uns Gott in der Bibel sagt?«
    Katherine blickte Stanley kurz an, und er sah den Stahl in ihren Augen, gehärtet und unbeugsam, ehe sie sich seiner Mutter zuwandte und an Mrs. Tuggle, der Mumie zu ihrer Rechten, vorbeisprach: »Ich habe eine Ausbildung in den Naturwissenschaften, so ist es, Mrs. McCormick, und ich neige in der Tat zu einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise von Phänomenen, die jenseits unserer Kenntnis liegen, doch muß ich Sie daran erinnern, daß Darwins Theorien nichts anderes sind als eben Theorien.«
    Schweigen. Jede Unterhaltung war erstorben. Anita starrte sie an, Cyrus jr. spielte mit seinen Manschettenknöpfen. Favill schmunzelte. Die Mumien nickten mit ihren schlohweißen Köpfen.
    »Und was soll das bedeuten?« Nettie hatte die Hände vor der Brust gefaltet, als wollte sie um Kraft beten. »Glauben Sie nun an dieses ketzerische Zeug oder nicht?«
    Katherine seufzte. Hob das Wasserglas an die Lippen, nippte daran und stellte es wieder ab, vollkommen beherrscht. »Da Sie mich fragen, Mrs. McCormick, muß ich sagen, daß ich sehr wohl an Darwins Theorien über den Ursprung unserer Spezies durch die Evolution glaube. Ich halte seine Argumente für höchst stichhaltig.«
    Stanley wollte etwas sagen, irgend etwas, einen Kommentar über das Wetter oder die Suppe oder die elektrische Beleuchtung, nur um seine Mutter von der Fährte abzubringen, doch sie war zu schnell für ihn.
    »Und diese Negertanzmusik, auf die die jungen Leute so erpicht sind, dieser ›Maple Leaf Rag‹ und das ganze Gedudel, so etwas halten Sie wohl auch für sittlich in Ordnung, stimmt’s?«
    »Mir bleibt leider wenig Zeit zum Tanzen, Mrs. McCormick«, sagte Katherine, und sie blickte den gesamten Tisch entlang, bevor sie sich wieder an sie wandte. »Ich bin sehr beschäftigt mit meinem Studium.«
    »Ja«, sagte Nettie, spie das Wort fast aus, »das habe ich gehört. Schlangen, nicht wahr?«
    Am folgenden Nachmittag, an dem ein trübes, verwaschenes Licht den Eindruck erweckte, als wäre die Stadt auf den Grund des Michigansees versunken, fuhren Stanley und seine Mutter gemeinsam mit Katherine im Landauer – nicht einmal im Traum hätte Nettie einen Fuß in einen Motorwagen

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