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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den Mann. Er war ihr biologisches Schicksal, ihr Mann, ihr Partner, und sie würden sich im Dunkeln vereinigen, und er würde sie schwängern – so sollte es sein, das war es, was sie wollte. Daran dachte sie, während sie sich in die Riemen legte, und sie fühlte ihr Blut schneller pulsieren, sie kostete das Straffen und Entspannen ihrer Schulter- und Rückenmuskeln aus, und sie sah sich in einem weißen Nachthemd in einer Wiese aus weißen Blumen stehen, schwanger und schimmernd wie die Rosenhagmadonna. Es war beängstigend, es war höhere Gewalt – schön und berauschend, aber auch beängstigend.
    Aber Stanley war in Chicago, wo er hingehörte und wo er bleiben sollte, bis er sich wieder im Griff hatte. Sie war liebevoll mit ihm umgegangen – er müsse verstehen, daß sie eine Zeitlang allein sein wolle, und auch wenn die Verlobung offiziell abgesagt sei, auch wenn sie den Ring zurückgegeben und die Aufträge an Lieferanten, Floristen und so weiter gekündigt habe, bestehe dennoch Hoffnung, er müsse ihr nur etwas Zeit lassen. Liebevoll, aber bestimmt. Sie sagte ihm nicht, wann sie abfuhr oder wohin die Reise ging, sondern nur, daß er nicht versuchen solle, ihr zu folgen, auf keinen Fall. Das müsse er respektieren. Wenn er das tat, und wenn sich seine Einstellung besserte, wenn seine Nerven sich wieder beruhigten und auch sie Gelegenheit gehabt hatte, zu sich zu kommen, dann gab es vielleicht, vielleicht doch noch eine Hoffnung für sie.
    Zu Mittag – nach der Stellung der Sonne in den Wolken über ihr schätzte sie, daß es Mittag war – bekam sie erneut Hunger, was sie als gutes Zeichen empfand. Sie hatte nichts mitgenommen, nicht einmal einen Apfel oder eine Birne, und sie ließ sich eine Zeitlang treiben, ließ sich von den Wellen wiegen, ließ den Geruch des Windes und des Wassers mit ihren Sinnen spielen, bis der Hunger zu körperlichem Schmerz wurde, und dann hielt sie auf ein Gasthaus am Genfer Ufer zu, in dessen riesigem Speisesaal sie bei einer Zeitung und einer Kanne Tee zu Mittag aß, während ein peinlich korrekter Kellner mit Schnauzbart um sie herumscharwenzelte. Sie aß eine Suppe, einen Salat, die gebratene Ente mit Kartoffeln und Gemüse und ließ sich viel Zeit mit dem Dessert, las Absatz für Absatz in der vor ihr ausgebreiteten Zeitung und hob zwischendurch den Kopf, um verträumt über den See zu blicken. Als sie endlich mit Hilfe eines übertrieben hilfsbereiten Concierge und des stirnrunzelnden Kellners in ihr Ruderboot zurückkletterte (Wollte Madame nicht lieber ein Taxi nehmen? Einer der Pagen könnte das Boot am nächsten Morgen retournieren – »Cela ne pose pas de problème« ), hatte sich der Himmel wie eine Faust zusammengeballt, und ein feines Nieseln hing in der Luft. Sie dankte ihnen für ihre Besorgnis, aber eigentlich, so sagte sie, habe sie Lust auf etwas Bewegung nach dem Essen. Kopfschüttelnd und protestierend hielt der Concierge einen Schirm über ihr aufgespannt, während sie es sich auf der Ruderbank bequem machte, und sah ihr ungläubig nach, als sie sich behende abstieß und den Bug in den sanft dahinwallenden Bauch des Nebels richtete. Die Sicht war schlecht, und eventuell hätte ihr wirklich Gefahr gedroht, doch sie hielt sich nahe dem Ufer und ruderte immer weiter, bis ihr nicht mehr bewußt war, daß sie ruderte, bis das Universum nur noch aus ihren Armen, dem Boot und dem See bestand.
    Zwei Wochen vergingen. Sie traf keinen Menschen. Sie schwamm, ging spazieren oder ruderte, las französische Romane, half der Köchin beim Planen des Menüs und nahm sogar die Stickerei wieder auf, die ihre Mutter im letzten Herbst liegengelassen hatte, und sie langweilte sich nicht, keineswegs, sondern wurde mit jedem Tag gesünder, ruhiger und gefaßter. Dann saß sie eines Morgens beim Frühstück, in eine Erzählung von Maupassant versunken – die über die dickliche kleine Dirne in der Kutsche voller scheinheiliger Passagiere –, als Madame Fleury sie davon unterrichtete, daß ein Mann am Tor sei, der sie sprechen wolle.
    »Ein Mann?«
    » Oui, Madame . Er behauptet, Sie zu kennen. Und er weigert sich zu gehen.«
    Und was war das, dieser winzige Funke? Hoffnung, Angst, Ärger: es konnte doch nicht sein. »Hat er Ihnen eine Karte gegeben? Seinen Namen gesagt?«
    Die Haushälterin war eine schlichte, kantige Frau von Mitte Vierzig, geschult darin, jeden Ausdruck aus ihrem Gesicht zu verbannen, jeden Anflug von Emotion in ihrer Stimme zu unterdrücken; das Haus konnte

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