Riven Rock
er erwartet hatte, denn kurz bevor die Wände wieder in Bewegung gerieten und an der Decke die zuckenden Augen und Schnauzen und die pelzigen Wesen auftauchten, saßen da auf einmal die Richter in steifer Versammlung vor ihren Tellern, bärtig und streng, zu dritt waren sie, drei bärtige, grimmige, unbarmherzige Männer, und ihre sechs unbarmherzigen Augen richteten sich auf ihn, auf Eddie O’Kane, den Meisterlächler, nur hatte er für diesen Anlaß kein Lächeln mehr parat, denn er befand sich plötzlich in unbekannten Gewässern, und er ging unter wie ein Stein.
Na schön. Klar doch. Also hörte er eine Zeitlang auf. Er rührte das Zeug nicht an, und wenn man ihn mit einem spitzen Stock gepiekt, in einen Käfig gesperrt und ihm die Brühe in den Hals geschüttet hätte. Natürlich lag das alles nur an diesem Fusel, das war das Problem, der unreine Alkohol und so – er konnte von Glück reden, daß er nicht blind, impotent oder wahnsinnig geworden war. Und er hatte die Richter ja nicht wirklich gesehen – das war nur der Schnaps gewesen, mieses Zeug, schlechte Lieferung. Trotzdem hörte er auf, schaffte es auch jeden Tag zur Arbeit, und obwohl seine Därme voll heißem Magma waren und er ums Verrecken nicht mehr scheißen konnte, sein Kopf sich anfühlte wie eine Eierschale im Schraubstock und seine Beine so schwer waren, daß er kaum aufrecht stehen konnte, begann er, ganz langsam, die Welt wieder so wahrzunehmen, wie sie wirklich war, ohne Krücke, ohne Filter.
Eines Morgens kotzte er bibbernd und schwitzend zugleich in die Toilette am Ende des Korridors, draußen trommelte in seiner bauernhaften Rohheit und Ungeduld das Arschgesicht Maloney gegen die Tür, den er am liebsten umgebracht und zerstückelt und dann vielleicht noch gekocht und aufgefressen hätte, und da fiel ihm plötzlich auf, daß er seinen Geruchssinn langsam wiederfand. Es war erstaunlich: er lebte in einer Welt von Gerüchen. Auf einmal stank die Pisse unter seinen Schuhen. Seine Socken dampften, die Unterwäsche hatte einen Hefemief. Im Korridor vor seiner Tür roch es, als wäre dort jemand gestorben und anschließend eingemauert worden. Von seinem Bett aus witterte er die Gesichtscreme von Mrs. Fitzmaurice, über die ganze Distanz durchs Treppenhaus, um die Ecke und durch die Tür zu ihrem tristen, einsamen Witwenzimmer. Und er roch auch ihre Traurigkeit, den Duft von brachliegendem, altem Fleisch, den weggesperrten, nutzlosen Leib. Vor dem Haus parkte ein Wagen mit Benzin im Tank, und er konnte dieses Benzin riechen. Und Essen: Zwiebeln, Rindfleisch, eingelegte Bohnen, irgendein Gewürz – was war das, Basilikum? Ja, Basilikum. Er hatte seit Jahren kein Basilikum mehr gerochen – gar nichts hatte er gerochen –, und es trieb ihm Tränen in die Augen.
Als nächstes hatte er auf einmal Appetit.
Zuerst die Gerüche, dann der Hunger. Auf einmal stand er zum Frühstück auf, saß bei Mrs. Fitzmaurice neben seinen Mitpensionären am Tisch, bei Pfannkuchen wie Steinen, der Porridge wie Stein kurz vor dem Hartwerden, der Sirup wie ausgepreßter Stein, aber er aß, aß alles auf und wischte seinen Teller mit Brot aus. Jeden Vormittag um halb elf wanderte er, statt wie sonst ein Päuschen zum Saufen einzulegen, in die Küche hinunter und beschwatzte Sam Wah, daß der ihm ein Beefsteak oder ein Stück Leber mit Zwiebeln briet, und beim Mittagessen saß er gegenüber von Mr. McCormick, auf dem Schoß von einem der Richter, schmierte sich Butter aufs Brot und löffelte seine Suppe, als hätte er tagelang nichts gegessen. Weil er außer an den Wochenenden immer zu spät für das Nachtmahl zu Mrs. Fitzmaurice zurückkehrte – sie berechnete ihm auch nie etwas –, speiste er abends bei Menhoff, und wenn er dort eine Flasche Ginger Ale trank, studierte er mit versonnenem Lächeln das Etikett: »In Erinnerung an den 18. Verfassungszusatz und das Volstead-Gesetz wird der Inhalt dieser Flasche unter der ausdrücklichen Voraussetzung verkauft, daß er keinesfalls mit alkoholischen Getränken gemischt werden darf.«
Seine Anzüge, die an ihm herabgeschlottert hatten, paßten allmählich wieder. Er pflegte sein Haar und putzte sich die Zähne, achtete darauf, daß er sich morgens unter den Achseln wusch, und nachdem er einen Monat lang den Produkten von Charley Waterhouse, Bill McCandless und sogar Cody Menhoff abgeschworen hatte, der inzwischen eine bessere Sorte von selbstgebranntem Gin unter dem Tisch verhökerte, wobei der Sheriff ein Auge
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