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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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musterten sie, Stanley jetzt mit panischem Ausdruck, einem Ausdruck, den sie aus den Tagen kurz vor seinem Zusammenbruch kannte, und O’Kane und Mart sahen blaß und angestrengt aus und vermieden es, ihr in die Augen zu sehen. Und dann, als wäre nur kurzfristig etwas verhakt gewesen, blickten sie alle drei auf ihre Füße und gingen weiter die Treppe hinunter.
    Unten blieben sie stehen, keine zwei Meter vor ihr, machten noch einen Schritt auf dem Marmorboden. Stanley starrte auf seine Schuhe. »Stanley«, sagte sie. »Stanley, Liebling. Es ist alles gut. Ich bin’s, Katherine. Deine Frau. Ich komme dich besuchen.«
    Er hob den Blick, aber er hielt den Kopf zur Seite gelegt, so als fehlte ihm die Kraft, ihn gerade zu halten. »Die«, begann er, und seine Stimme klang unnatürlich hoch, »die wo-wollen mich nicht gehen lassen. Eddie und Mart. Sie glauben... Sie halten mich am Ärmel fest. Am Ärmel!«
    Katherine wollte ihn berühren, ihm die Hand an die Wange legen, ihn in die Arme nehmen und ihn trösten, armer Stanley, armer, armer Stanley. »Lassen Sie ihn los«, sagte sie.
    Augenblicklich gaben O’Kane und Mart ihn frei und traten einen Schritt zurück, und nun stand er ganz allein vor ihr, mit hängenden Schultern, das Haar glatt nach hinten geklatscht, den Kopf zur Seite gelegt – und wer war das da oben an der Treppe, der ihnen aus dem Dunkeln zusah? Kempf. Natürlich. Kempf. Na, das war doch ein richtig intimes kleines Treffen, was? Mann und Frau, wiedervereint in Gegenwart eines Butlers, eines Psychiaters und seiner zwei affenartigen Pfleger. Sie versuchte es noch einmal. »Stanley, Stanley, sieh mich an«, und dann griff sie nach seinem Arm.
    In diesem Moment rannte er los. Geradewegs auf die Tür zu. Ein Getrappel von Füßen, dreiundfünfzig war er jetzt, aber behende wie ein Achtzehnjähriger, die Tür war kurz ein heller Spalt, O’Kane und Mart hechteten hinterher, und dann war er fort. Katherine war plötzlich selbst in Bewegung, keine Zeit zum Denken, zur offenen Tür hinaus auf die Treppe, und da war er, Stanley, ihr Mann, er lief seinen Pflegern davon, rannte zweimal auf der Einfahrt im Kreis, ehe er in einem rasanten Spurt auf den Wagen zustrebte, wo ihm Roscoe die Türen vor der Nase verschloß, im Inneren sah man Janes erschrockenes Gesicht, und dann packte O’Kane ihn, und Stanley wieherte: »Nein, nein, nein, ihr versteht nicht, ihr...«
    Katherine ging wie in Trance auf ihn zu, kein Gedanke an Jane oder sich selbst, an niemanden außer an Stanley, und nun stürzte sich auch Mart ins Gemenge, alle drei Männer rollten auf dem Boden in einem Durcheinander aus Gliedmaßen, knirschendem Kies und aufwirbelndem Staub. Sie trat vor, von ihren Gefühlen drangsaliert, und sah den Kämpfenden zu, bis ihr keuchender Mann bezwungen war und die Pfleger ihn richtig im Griff hatten: der eine hielt ihn an den Schultern, der andere umklammerte seine Beine. »Stanley«, bat sie, ja flehte sie, mit feuchten Augen, alles war verwirrend und tat so weh, »ich bin es doch nur.«
    Er warf den Kopf herum, soweit es ihm O’Kanes Arm gestattete, und fing ihren Blick auf. »Ich habe...« begann er, und in seinem Gesicht lag Staunen, das Staunen der Entdeckung, der Offenbarung: Heureka, Heureka, »ich habe dein Gesicht gesehen«, sagte er. »Ich habe dein Gesicht gesehen!«

5
    In Anwesenheit
von Damen
    »Nein, vielversprechend würde ich es nicht nennen«, sagte O’Kane. »Nicht direkt. Aber es ist ein Anfang, und ich finde, das ist Kempfs Verdienst.« Er saß im oberen Salon, die Tür war gesichert, ein Feuer knisterte gemütlich im Marmorkamin, sein Arbeitgeber schlummerte im Land der Träume, und er fühlte sich aufgeschlossen und großzügig, erfüllt von Festtagslaune – ganz zu schweigen vom Rum –, und was den glupschäugigen Dr. Kempf anging, so war er zwar anfangs skeptisch gewesen, doch jetzt war er bekehrt. Mr. McCormick hatte im Lauf der letzten anderthalb Jahre enorme Fortschritte gemacht, und der Vorfall vom Nachmittag auf der Einfahrt war nichts weiter als ein kleiner Rückschlag, da war er sicher. Die Thompson-Brüder, Nick und Pat, deren Schicht vor einer Stunde angefangen hatte, waren von Kempfs Konzept nicht überzeugt. Sie glaubten nicht daran. Nicht im geringsten.
    »Was ich so höre, von Mart jedenfalls, war das Ganze doch eine Farce«, knurrte Nick mit seiner ausgebrannten Stimme, die klang, als würde man die letzten Reste aus einer Bratpfanne kratzen, scharf und metallisch. »Er ist

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