Riven Rock
die Hand zu nehmen. »Und was ist mit meinem Ehegelöbnis?« fragte sie und betonte jedes Wort deutlich, selbst als sie das Taschentuch gegen die widerspenstige Nase drückte. »In guten wie in schlechten Zeiten, Mr. Bentley. Was sagen Sie dazu?«
Es herrschte Schweigen. Diesmal hatte Bentley keine Antwort – jedenfalls nicht sofort. Sie sah an ihm vorbei, durch das offene Fenster auf die Veranda und das Meer und die seltsam bräunlichen Inseln hinaus. »Mein Mann braucht mich«, sagte sie, »und zwar mehr denn je. Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?«
Das war Favills Stichwort. Er nahm die übergeschlagenen Beine auseinander und stemmte die großen Füße fest in den Teppich, als wollte er sie gleich anspringen. »Aber gerade darum geht es doch, Katherine. Er braucht Sie nicht, nach allem, was Dr. Meyer sagt – und auch Ihr eigener Arzt, Dr. Hamilton. Frauen verwirren ihn. Sie bringen ihn durcheinander. Und vielleicht wäre es anders gekommen, wenn Sie nicht...« Er ließ den Satz suggestiv ins Leere laufen und beobachtete sie aus Augen von der Farbe gehackter Leber.
»Wenn ich was?« Plötzlich wallte das Blut in ihr auf. Es war ein langer, frustrierender Tag gewesen, der Gipfel einer Woche, eines Monats, eines Jahrs der Frustrationen. Am Morgen hatte sie mit ihrer Schwiegermutter und Stanleys gesunder Schwester Anita frühstücken müssen, und die Atmosphäre dabei war so säurehaltig gewesen, daß alles nach Grapefruit und Essig schmeckte, danach hatte sie den Vormittag damit zugebracht, mit dem neuen Chauffeur in einem der beiden Packard-Automobile, die Stanley nach Meinung der McCormicks unbedingt haben mußte, ein endloses Labyrinth staubiger Straßen nach den vielgerühmten heißen Quellen von Montecito zu durchsuchen, wo im Augenblick ihre Mutter die arthritischen Gelenke badete, während Katherine sich allein diesen Bluthunden der McCormicks stellen mußte. »Nur zu«, verlangte sie, »sagen Sie es ruhig: Wenn ich nicht wäre, dann wäre das meinem Mann nicht passiert? Das haben Sie doch gemeint, oder?«
Favill ließ sie nicht aus den Augen. Er blinzelte nicht einmal. Er gab einen Dreck auf sie und ihre Dexter-Familie, die bis zur Gründung der amerikanischen Kolonien und auf sechs Jahrhunderte in England zurückblicken konnte, oder darauf, daß sie ihr eigenes Vermögen besaß und jederzeit zehn Indianerhäuptlinge kaufen oder verkaufen konnte – ihn kümmerten nur die McCormicks, diese Parvenüs, die vor einer Generation noch Provinzler aus Virginia gewesen waren, ein Haufen Hinterwäldler, die ihrem Vater nicht einmal die Stiefel hätten lecken dürfen. »Mehr oder minder«, sagte er.
»Bitte keine Taktlosigkeiten, Henry«, ermahnte ihn Bentley, der sie nun umkreiste wie der Ringrichter in einem Boxkampf. Er legte die Hände auf die Rückenlehne des Sessels, in dem er eben noch gesessen hatte, und beugte sich in einer Geste von scheinheiliger Vertraulichkeit vor, ein echter Rechtsanwalt bis in die Socken. »Dazu besteht keinerlei Anlaß«, sagte er, jetzt zu Katherine gewandt. »Aber verzeihen Sie mir bitte, wenn wir Gründe zu der Annahme haben, daß – wie soll ich es ausdrücken? –, daß angesichts von Stanleys geistigem und körperlichem Zustand während der Zeit Ihres ehelichen Zusammenlebens... die Ehe noch nie wirklich, äh...« Er warf die Hände in die Luft, wie ein Puritaner in einem Bordell. »Sie sind ausgebildete Wissenschaftlerin, Katherine. Ich denke, Sie wissen, wovon ich spreche, jedenfalls vom biologischen Standpunkt, wenn schon nicht vom juristischen.«
Darum ging es also.
Mit einemmal fühlte sie sich sehr müde, müde und geschlagen. Diese Dreckskerle. Diese gefühllosen, gedankenlosen, verlogenen Bettlakenschnüffler! Sie hatten ihre Nasen in die allerletzten peinlichen Klatsch- und Tratschgeschichten gesteckt, Zimmermädchen und Butler ausgefragt, Erkundigungen bei ihrer Schwiegermutter, bei Stanleys Geschwistern und dem Team von Psychiatern eingeholt, die ihn seit seinem Zusammenbruch umschwärmten, und nun glaubten sie, etwas gegen sie in der Hand zu haben, sie glaubten, sie könnten sie beschämen und schikanieren und in die Knie zwingen. Aber da irrten sie sich. Sie würde nicht in die Knie gehen, bestimmt nicht. Sie saß da wie ein Pfeiler, obwohl es ihr weh tat bis ins Mark und ihr plötzlich hundert Nächte mit Stanley in einem rasenden Wirbel vor Augen traten, der Ausdruck auf seinem Gesicht, seine Angst, seine Wut und die unbeugsame, uneinnehmbare
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