Riven Rock
Tag miteinander rammeln, können ihn aus diesem Bett wieder rausholen?«
Wiederum Schweigen. Der Arzt klopfte seine Taschen ab, bis er Pfeife, Tabak und Streichhölzer gefunden hatte. Er nahm sich Zeit zum Entzünden der Pfeife und musterte O’Kane dabei nachdenklich. Er hatte diese Situation in der Hand, und er würde sich nicht drängen oder provozieren lassen. »Ich sage Ihnen eines, Edward «, sagte er und betonte den Namen auf seine irritierende Weise. »Wie Charcot, Breuer und Chrobak alle bereits festgestellt haben, und wie Dr. Freuds brillante Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie nochmals bestätigen, gibt es an der Wurzel jeder nervösen Störung immer eine genitale Komponente. Und wollen Sie etwa auch nur einen Moment lang bezweifeln, daß Mr. McCormicks Problem ein sexuelles ist? Sie haben doch gesehen, wie er auf diese Frau im Zug losgegangen ist und auf die Krankenschwester im McLean – wie hieß sie schnell?«
»Arabella Doane«, antwortete O’Kane mechanisch.
»Sex ist die Wurzel und der Urgrund allen menschlichen Tuns, Edward, vom morgendlichen Aufstehen und dem Gang zur Arbeit bis zum Erobern fremder Nationen, von der Erfindung der Glühbirne bis zum Kauf eines neuen Mantels, vom Fleischverzehr bis zum Taxieren jeder vorbeigehenden Frau als potentielle Paarungspartnerin. Sex ist das A und O, unser Daseinszweck, eine unbezwingbare Lebenskraft.« Der Doktor war einen Schritt näher getreten. O’Kane sah die dunklen stoppligen Pfefferkörnchen an seinem Kinn. »Wir sind Tiere, Edward, vergessen Sie das nie, und Tiere – ja, diese Hominiden, die so wenig Eindruck auf Sie machen – werden uns eines Tages unsere verborgensten Geheimnisse enthüllen.« Wie aufs Stichwort heulte einer der Affen in orgiastischer Ekstase los. Die Augen des Doktors loderten. »Unsere sexuellen Geheimnisse«, setzte er mit ersterbendem Zischen hinzu.
Gerade in diesem Moment, gerade als Hamilton diese Worte aussprach, blickte O’Kane zufällig auf und sah Giovannella Dimucci hinter ihnen in einem grellen Fleck Sonnenlichts über den Weg gehen. Sie trug Holzschuhe, und er betrachtete ihre nackten Beine, die unter dem Saum ihres Rocks verschwanden, die schimmernde wehende Flagge ihres Haars, ihre Brüste, die unter dem Stoff der Bluse bebten, und ihre Arme, die sie mit rhythmischer Eleganz beim Gehen hin und her schwenkte, bis sie um die Ecke bog. O’Kane sah zurück auf den Doktor, auf die Affen, die sich lustvoll und hoffnungsfroh an ihre Gitterstäbe klammerten, und auf den großen orangefarbenen Fellhaufen in der Astgabel über ihm. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, wie um alles wegzuwischen. Er schwitzte, und er war sich andererseits einer Trockenheit in der Kehle bewußt: die Drangsal des ausgedörrten Heiligen in der Wüste.
»Tja«, sagte er seufzend, als könnte er sich kaum losreißen, »wirklich einen schönen Menschenaffen haben Sie da, Doktor, und besten Dank auch, daß Sie sich Zeit genommen haben, ihn mir zu zeigen und mir alles zu erklären – jetzt fühl ich mich besser, wirklich –, aber ich muß wieder zurück... Mart fragt sich bestimmt schon, wo ich bin. Also dann. Auf Wiedersehen.«
Giovannella Dimucci war die Tochter von Baldessare Dimucci, der in seinem quietschenden Pferdefuhrwerk von Crawfords Molkerei den Kuhmist abholte und an Orangenpflanzer und reiche Witwen mit Blumenbeeten und riesigen Rasenflächen verkaufte. Sie war siebzehn, mit kräftigen Schultern versehen, fleißig und hilfsbereit, und sie arbeitete seit einer Woche in der Küche, während die normale Köchin, eine bucklige kleine Warze von Frau namens Mrs. Fioccola, sich von der Geburt ihres zwölften Kindes erholte, allesamt Mädchen. O’Kane holte sie ein, als sie gerade die Hintertreppe hinaufging, in der Hand einen leeren Abwascheimer. »Giovannella«, rief er und sah zu, wie sie sich umdrehte, ihn erkannte und ein Lächeln aufblitzen ließ, das sich von den Lippen zu ihren Augen ausbreitete.
»Eddie«, sagte sie, und nun war er mit dem Grinsen an der Reihe. »Was für eine Überraschung, dich um diese Zeit zu sehen.« Sie stellte den Eimer ab und ließ ihr Lächeln noch mehr erblühen. Hinter dem Maschengitter der Tür war Bewegung – Sam Wah stand am Herd, mit dem Rücken zu ihnen, und eines der anderen Dienstmädchen, O’Kane konnte es nicht genau erkennen, wusch gerade einen Berg von Geschirr ab. Um die Ecke, von der Garage her, hörte man Roscoe an den Autos basteln, er ließ einen Motor abwechselnd
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