Riven Rock
war, mit seinen Wurstbeinchen und diesem Ausdruck irgendwo zwischen Schreck und Verwunderung, als würde es den eigenen Vater nicht mehr erkennen, und war das etwa angenehm? O’Kane konnte den Kleinen nicht nehmen, noch nicht, und er hob die Hände, um zu zeigen, wie unangemessen sie waren.
»Sieh doch, wie groß er geworden ist«, forderte sie ihn mit hoher, gepreßter Trällerstimme auf, »hättest du je gedacht, daß er so groß wird?« Dem folgte ein ganzes Lexikon der Babysprache, während ihr verheultes, wütendes, hoffnungsfrohes Gesicht auf und ab hüpfte wie ein Spielzeug an der Schnur und sie Klein Eddies Nase mit der ihren berührte, ihn schließlich behutsam mit behandschuhten Händen herunterließ, bis seine Füßchen in den abgestoßenen weißen Puppenschuhen den Gehsteig berührten und er mit triumphierendem Grinsen dastand.
»Und wer ist der tleine Mann da, na? Na?« flötete Rosaleen, während die Menschen vorbeieilten und die Wagen am Bordstein vorfuhren und O’Kane aufrecht im Schein der Spätnachmittagssonne vor ihnen stand, um Worte verlegen, die Hände baumelten schlaff herab, und auf seinem Gesicht ein fragendes Lächeln.
Roscoe erwartete sie am Ende des Bahnsteigs, der Wagen stand ihnen zur Verfügung, Katherine und Dr. Hamilton hatten O’Kane zudem freundlicherweise den Nachmittag freigegeben. Roscoe zog sich die Chauffeursmütze tiefer in die Stirn, sehr förmlich, sehr eindrucksvoll, und half O’Kane beim Verladen des Gepäcks, während Rosaleen und das Baby sich auf der Rückbank einrichteten, und dann fuhren sie ab, die leichte Steigung der State Street hinauf und hinein in den flirrenden blauen Schoß der Berge, die über dem Ort dräuten wie eine Qualmwolke. »So ein schöner Wagen«, gurrte Rosaleen, aber sie lächelte nicht, noch nicht. »Weißt du, daß das meine erste Fahrt in einem Automobil ist?« Er erhaschte einen Blick auf ihr Gesicht unter dem starren Bogen ihres Hutes, sein braungelocktes Mädel, sein Eheweib, und er küßte ihren Mundwinkel so zart er es verstand, bis sie sich zu ihm umdrehte und ihn zurückküßte, nur ein Schmatz und mit Lippen so kalt wie die Steine im Meer.
Die Wohnung gefiel ihr gut, das konnte er sehen, obwohl sie eine halbe Stunde überall herumnörgelte, dauernd Sachen sagte wie: »Oh, Eddie, das soll ein Sofa sein? Und diese Vorhänge , und was für ein merkwürdiges Bett – ist das lackiert, oder was?«, und kleinlich die Aussicht beanstandete, als hätte er ihr einen anderen Ozean oder andere Inseln anbieten können, aber nur der Form halber, um ihrer beider Rollen festzuschreiben oder vielmehr neu festzuschreiben: sie im Haushalt und er in Riven Rock, wo er als unentbehrliches Rädchen in der McCormick-Maschinerie einen stattlichen Lohn bezog. Und das Baby verhielt sich wie ein Heiliger, wirklich. Es krabbelte ein bißchen im vorderen Zimmer herum, steckte alles mögliche in den Mund und nahm es besabbert wieder heraus, und dann schlief es, fest wie im Koma, kein Jammern, kein Wimmern. Als die Sonne fast untergegangen war und die Wohnzimmerwände in einem Licht dalagen wie das Innere eines Pfirsichs, alles rosig, alles gut – bis auf die eine, die wichtigste Sache.
Rosaleen war in der Küche, steckte den Kopf in alle Schränke, inspizierte den Eisschrank. Sie hatte alles schon zweimal gesehen, und O’Kane fand langsam, daß sie ihm auswich. Vier Monate. Sie war verletzt und wütend, und sie hatte das Recht dazu. Er stand am Fenster, betreten schweigend, der gutaussehende Eddie O’Kane mit dem Drei-Uhr-Glück in den Augen, nie um ein Wort verlegen, und nun wußte er auf einmal nicht, was er sagen oder wie er anfangen sollte – mit einer Entschuldigung, einer Ausrede, einem Vorwand? Oder vielleicht sollte er sich einfach ranmachen und sie anfassen, diese erregende Fremde, die da vor der Abwaschschüssel zauderte. »Hast du Hunger?« fragte er schließlich.
Daraufhin kam sie ins Zimmer, langsam und unbekümmert, und sah ihn offen an. »Ich bin ausgehungert, Eddie«, sagte sie, und ihre Stimme hatte dieselbe Wirkung auf ihn wie der erste vertraute Schluck Whiskey an einem Abend, wenn die Bar hell erleuchtet wie die Sphären des Himmels und nichts unmöglich ist, »wirklich ausgehungert. Nach dir.«
Und so begann es: Eddie O’Kane und das häusliche Glück. Elsie Reardon zog in das Zimmer, das er im Dienstbotentrakt räumte, und Roscoe holte ihn jetzt jeden Morgen um 7.30 Uhr ab, nachdem er Nick und Pat nach Hause gebracht hatte. Mart
Weitere Kostenlose Bücher