Road of no Return
verdammten Nick?
Außerdem hatte Mum schließlich nicht für jede Eventualität ihre bescheuerten Worte der Weisheit, und selbst wenn, hätte sie sie nicht an mich verschwendet. Oder? Ich stieß mich von der Tür ab, stand benommen im Flur und wartete darauf, dass die Welt wieder einen Sinn ergab. Na, da konnte ich lange warten.
Mein Hals schien wie zugeknotet, und ich konnte weder klar sehen noch richtig atmen. Nach einer Weile stellte ich fest, dass ich doch noch atmete und klar genug sehen konnte, um die geblümte Tapete zu hassen, den Kalender mit den Delfinfotos, und als ich diese stark genug hasste, fand ich, dass ich auch Dad hassen konnte. Und dieser Hass war völlig ohne Schuldgefühle. Es gab keinen Spielraum mehr, ihn zu mögen, geschweige denn, ihn zu lieben. Ich spürte Orlas Küsse nicht mehr, nirgendwo. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich eine Ohrfeige bekommen, und wäre gerne in die Küche gestürmt und hätte zurückgeschlagen. Ich zwang mich, die Treppenstufen hinaufzugehen, eine nach der anderen,
schmerzhaft, bis ich in der Mitte ankam und dann noch einmal bis nach oben. So. War doch gar nicht so schwer.
Vor Allies Tür blieb ich stehen. Prinzessin. Kleine Geddes-Göttin. Meine zerschrammte Seite brannte höllisch, meine Augen ebenfalls. Statt leise anzuklopfen, sah ich nur nach, ob sie schlief – sie schlief immer ruhig und gewissenlos wie eine Katze auf Stand-by –, dann schlug ich meine Tür zu, zog mir T-Shirt und Pyjamahose an und kroch unter die Bettdecke. Unter zehn bis zwölf Schichten hörte ich, wie sich meine Tür leise öffnete und wieder schloss, deshalb drückte ich mir die Decke fester auf die Ohren und lag still. Ich presste die Zähne aufeinander und hielt den Atem an. Hey, Dad, weißt du was? Ich wäre heute Nacht beinahe im Meer ertrunken! Heute hat mich das Mädchen meiner Träume geküsst. Hättest du dir Sorgen gemacht, wenn du es gewusst hättest? Hättest du dich für mich gefreut, wenn ich es dir erzählt hätte? Es ärgerte mich, dass mir Tränen aus den brennenden Augen auf die Matratze rannen, aber immerhin schluchzte und flennte ich nicht. Ich fragte mich nicht einmal, wer hereingekommen war, denn es war mir egal.
Ich merkte, wie sich jemand zu mir setzte, weil die Matratze sich senkte. »Nick?«
Kleine Prinzessin, kleine Hexe. Ich ignorierte sie, vielleicht ging sie ja wieder.
Keine Chance. »Nick!« Sie zog an einer Handvoll Bettdecke. Dann an zwei Handvoll.
»Nick, hör auf zu heulen und sprich mit mir !«
Schnell rieb ich meine Augen am T-Shirt, warf die Bettdecke weg und sah sie böse an. »Ich heule nicht. Hau ab,
Allie. Ich hab für heute echt genug. Verzieh dich und lass mich in Ruhe.«
»Ich glaube auch, dass du genug abbekommst«, meinte sie.
Ich war immer noch böse. »Dieser Wichser da unten«, grollte ich. »Dieser Idiot. Dieser Mistkerl!«
»Ich weiß.«
»Wo ist Aidan?«, fuhr ich sie an. »Geh und sprich mit deinem blöden Aidan.«
»Er ist nicht da.« Allie strich mir vorsichtig über das Haar an der Schläfe, so wie ich es immer bei ihr tat. Nur funktionierte es bei mir nicht, weil meine Haare zu kurz waren. »Das hier hat nichts mit Aidan zu tun.«
Verdutzt hielt ich inne.
»Es hat nichts mit Aidan zu tun. Das hier geht nur dich und mich an.«
Da hatte sie meinen wunden Punkt getroffen. Ich stützte mich mit geballten Fäusten auf die Ellbogen und knirschte etwas weniger wütend mit den Zähnen. »Ist heute etwas geschehen?«
»Zwischen mir und Aidan? Sozusagen.«
»Nein, Allie, verdammt noch mal. Im richtigen Leben. Ist etwas passiert?«
»Ja«, antwortete sie. »Ja.« Sie sah mich unter den stumpfen Haarspitzen hervor an, kaute an ihrem Daumennagel, und ihre großen Mangaaugen betrachteten mich nervös. »Aber egal, Nick, ich wollte über dich sprechen. Hast du Orl …«
»Allie, halt die Klappe! Was ist dir passiert?« Ich hätte sie gerne gepackt, aber das hätte sie wahrscheinlich verscheucht, also beugte ich mich vor, grub meine Finger in ihre Oberarme
und versuchte, sie mit meinem Blick zu bannen. Es war in Ordnung, sie versuchte nicht zu flüchten, sondern sah nur verlegen drein.
»Ich hab mein Handy verloren.«
»Wie bitte?«
»Ich hab mein …«
»Ja, ja. Ich meine, wie?«
Knabber, knabber am Daumennagel. »Na ja, jemand hat es mir abgenommen.«
» Was? «
»Ist nicht so schlimm, Nick. Bitte werd jetzt nicht sauer.«
»Wer war das?« Ich versuchte, nicht zu schreien, aber das gelang mir nicht ganz. Mickey.
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