Road of no Return
Onkel haben.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und kniff die Augen zusammen, als ob sie so den Bus früher sehen könnte. »So ganz banale Sachen.«
»Das klingt nur deshalb banal, weil es das tägliche Leben beschreibt«, antwortete ich. »Genau so sollte es eigentlich sein. Die Menschen sollten diese Dinge tun. Und die meisten tun es auch, und die meisten Menschen sind gut. So wie auch er ein guter Mensch war.« Heftige Röte stieg mir in die Wangen, als Orla sich umdrehte und mich forschend ansah.
»Das sagen die Leute auch immer«, meinte sie. »Das ist auch banal. Aber das war er. Er war ein guter Mensch.«
Ich hielt nach ihrem Bus Ausschau. Nicht dass ich wollte, dass er kam.
»Ich möchte dich wiedersehen.« Sie legte die Arme auf
meine Schultern. Ihre Fingerspitzen berührten meinen Hinterkopf in einer federleichten Berührung.
»Okay«, erwiderte ich. Ich nahm ihre silberne Haarsträhne zwischen Daumen und Zeigefinger und streichelte sie, denn ich hatte den ganzen Abend daran gedacht, das zu tun.
Lächelnd küsste sie mich erneut. »Da kommt mein Bus«, sagte sie.
18
Ich weiß nicht, wie es kam, dass ich nicht merkte, was mit Lola Nan geschah. Ich war die ganze Woche wie benommen, hin- und hergerissen zwischen qualvoll unerfülltem Glücksgefühl und der niederschmetternden Aussicht auf ein Orla-loses Wochenende. Mit Dad redete ich natürlich nicht, und er redete auch nicht mit mir, aber Mum hätte es mir sagen können. Was auch immer sie später behauptete, sie hätte zu mir kommen und es mir sagen können. Dann hätte ich mich nicht so mies gefühlt und hätte Mum nicht so gehasst.
Am Freitag graute mir vor dem Wochenende. Zum ersten Mal wünschte ich mir, ich hätte den Job angenommen, Einkaufswagen auf dem Parkplatz des Supermarktes einzusammeln, aber da ich zu viel Lernarbeit vorgeschützt hatte, konnte ich jetzt schlecht zurückrudern. Außerdem hatte ich von meinem Sommerjob genug Geld gespart und Dad – wenn auch unter Zwang – unterstützte mich immer noch. Am Freitag nach der Schule ging ich direkt in die Stadt und kaufte mir ein paar CDs im Ausverkauf, um mir eine düstere Selbstmord-Playlist auf den iPod zu laden und mich am Samstag im Park herumzutreiben.
Ich rief Mum an, um ihr zu sagen, dass ich zum Abendessen nicht nach Hause kommen würde, und tat so, als ob die Verbindung unterbrochen wurde, bevor sie einen Aufstand machen konnte. Dad war die ganze Woche mit saurer Miene und fest zusammengepressten Lippen herumgelaufen, und sein Atem roch morgens so sauer, dass man nur auf zu viele Schlummertrunke und eine echt üble Laune schließen konnte. Ich hasste es mittlerweile, nach Hause zu kommen. Ironischerweise war es Mum, auf die ich seit jener nächtlichen Szene mit Dad immer wütender wurde. Ich wünschte, sie wäre für mich eingetreten. Ich wünschte, sie würde Dads Gefühle gelegentlich mal vergessen. So langsam vermutete ich, dass es gar nicht Liebe und Zärtlichkeit waren, sondern dass sie vor ihm und seinen lautlosen Wutanfällen Angst hatte.
Wie hatte Orla das genannt? Passiv-aggressiv. Genau das war mein Dad. Passiv. Aggressiv. Mein PA.
Die Läden hatten lange auf, und ich hing bei Virgins herum, um mir Spiele, Filme und Musik anzusehen, bis ich in eine Art glückseliger Trance versank. Es war mir sogar egal, dass mich die Sicherheitsleute anstarrten. Ich ging die DVDs und CDs durch, und das Klappern der Hüllen bekam einen hypnotischen Klang. Ich schloss mit mir selbst Wetten ab, welche davon Orla wohl mögen würde, und fragte mich, ob sie mit mir nach Hause kommen und sie auf dem DVD-Player in meinem Zimmer ansehen würde. Komischerweise waren wir in der Szene in meinem Kopf vollständig angezogen. Ich lag an das Kopfteil meines Bettes gelehnt und sie an mir, mein Arm um ihre Taille und ihr Kopf an meiner Schulter. Fast konnte ich das Mahlen ihres Kiefers auf dem Kaugummi
spüren, während sie auf den Bildschirm sah. Unwillkürlich spannte ich die Muskeln an, so als hätte ich sie tatsächlich schon im Arm. Die filmreife Liebesszene machte mich ganz schwindelig, dann meldete sich mein Körper mit einem kranken kleinen Lustschauer.
Ich sah mir die DVD in meiner Hand an. Von diesem Film hatte ich noch nie etwas gehört, geschweige denn ihn gesehen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das Wochenende überstehen sollte. Ich wusste nicht einmal, wann ich sie wiedersehen würde. Ich war verliebt, stellte ich plötzlich erschrocken fest. Verliebt, so mit richtiger
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