Rob - Toedliche Wildnis
geringste Chance. Und auch wenn ich dir gerne glauben würde, wundere ich mich, dass du denkst, Crock so gut zu kennen.«
Murat behielt seine gelassene Miene bei, nur ein kurzes Aufflackern in seinen für einen Afghanen ungewöhnlich blauen Augen zeigte, dass Luc einen wunden Punkt getroffen hatte.
»Bisher hat Crock nur getötet, wenn es für ihn von Vorteil war. Das alte Ehepaar konnte er weder mitnehmen, noch hatte er vermutlich genug Männer, um die beiden zu bewachen. Die Familie auf der Ranch diente als Beweis, wozu er fähig ist. Es wäre leichter und sicherer gewesen, auch die entführten Kinder zu töten. Aber das hat er nicht getan, und immerhin war das sogar der Ansatzpunkt, über den ihr ihm auf die Spur gekommen seid. Solange Rob und Cat sich in dem Tal aufhalten, sind sie keine unmittelbare Gefahr für ihn, und er muss sie nicht töten. Er muss nur verhindern, dass sie seine Pläne durchkreuzen. Im Gegenteil, ich kann mir vorstellen, dass er noch einige Fragen an sie hat. Das wird uns vielleicht die entscheidende Zeit verschaffen.«
»Ich hoffe, du liegst richtig.«
»Das kann ich dir nicht garantieren, aber bis zu einem bestimmten Punkt verstehe ich ihn besser, als du es jemals können wirst.«
»Wie meinst du das?«
»Du setzt zwar gerade deine Karriere aufs Spiel, aber im Einsatz hast du dich bisher noch nie zwischen deinen Prinzipien und deinen Befehlen entscheiden müssen, Luc. Bei mir war das anders, und als ich erkannt habe, dass ich den Weg nicht weitergehen konnte und wollte, habe ich mich gegen meinen Job entschieden. Ich dachte, damit wäre ich auf der sicheren Seite, aber da hatte ich mich geirrt. Viele Monate später habe ich es noch geschafft, die Bestrafung des Mannes, der meine Tochter vergewaltigt hat, Hamid zu überlassen und ihn nicht selbst zu töten, obwohl es mir sehr schwergefallen ist. Wieder dachte ich, meine dunkle Seite nun endgültig im Griff zu haben. Doch schon wenige Monate später hätte ich beinahe einen unschuldigen Mann erschossen, weil ich geglaubt habe, dass meine Tochter erneut angegriffen worden wäre. Wenn du damals nicht so schnell gewesen wärst, hätte ich dich getötet, ohne dir eine Möglichkeit zur Verteidigung oder Erklärung zu geben.«
»Das kannst du nicht mit Crocks Taten vergleichen.«
»Wirklich nicht?«
Murat wandte sich ab, ohne ihm eine Chance zu einer Antwort oder einer Richtigstellung zu geben. Es war ein Unterschied, ob man im Bruchteil einer Sekunde eine falsche Entscheidung traf oder ob man einen eiskalten Racheplan durchzog, auch wenn der angeblich anderen Zielen dienen sollte. Selbst das Gesetz hätte Murat für seinen kurzen Aussetzer mildernde Umstände zugesprochen. Er selbst urteilte entschieden zu hart über sich. Dennoch ließen seine Worte Luc nicht kalt. Jeder von ihnen, selbst Elizabeth und Jasmin, hatte eine Ausbildung durchlaufen, mit der sie auf der falschen Seite des Gesetzes einigen Schaden anrichten konnten. Und in noch einem Punkt lag Murat richtig. Es war pures Glück, dass Luc in seiner bisherigen Laufbahn Vorgesetzte gehabt hatte, für die es ebenfalls Grenzen gab. Aber ein weiteres Puzzleteil war an den richtigen Platz gefallen. Murat war keineswegs gebürtiger Afghane. Das war Luc schon klar gewesen, als Murat seine Vergangenheit beim SAS zugegeben hatte. Nun war zum ersten Mal, so lange sie sich kannten, während ihres Gesprächs ein britischer Akzent unüberhörbar gewesen. Anscheinend hatte dieser Crock ihn gefühlsmäßig stärker getroffen, als er zuzugeben bereit war, denn Luc war sicher, dass Murat sich seinen Geburtsdialekt schon vor langer Zeit gezielt abgewöhnt hatte, sonst wäre ihm dies bereits wesentlich früher aufgefallen. Der Afghane – oder Brite – hielt vor dem Hangar kurz inne und zog sein Satellitentelefon aus der Tasche. Nachdenklich beobachtete Luc ihn. Er hätte sein Strandhaus darauf gesetzt, dass Murat mit seiner Frau und seiner Tochter sprechen wollte und den Kontakt zu seiner Familie in diesem Moment auch dringend brauchte.
Luc dachte an Jasmin und Elizabeth. Was würden er oder Jay tun, wenn eine der Frauen gewaltsam umkäme? Oder Hamid? Sein afghanischer Freund wandelte auf einem schmalen Grat zwischen den Welten und konnte jeden Moment das Gleichgewicht verlieren. Wie würde er reagieren, wenn er seine Frau oder seinen Sohn verlieren würde? Ein unangenehmer Schauer lief ihm über den Rücken. Es gab Fragen, über die er besser nicht zu lange nachgrübeln sollte, denn die
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