Robbins, Harold - Träume
bis zum trockenen Sand glitt er, dann ging sein Brett ein wenig unter, und er stieg davon ab wie von einem Tretroller. Ob ich wohl noch so etwas konnte? fragte ich mich unwillkürlich. Als Kind hatte ich oft am Strand gestanden und Ausschau gehalten nach einer, nein, nach der großen Welle.
»Nur noch eine Welle, Onkel John«, bat ich. »Bitte.«
Er zögerte, nickte dann. »Aber wirklich nur noch eine. Danach geht’s nach Hause. Der Strand ist leer, und deine Mutter wird anfangen, sich Sorgen um dich zu machen.«
Ich lief ins Wasser, in den Händen mein Kinder-Surfboard. Ich schwamm so weit hinaus, wie ich mich traute, und wartete auf das, was ich für die große Welle hielt. Dann turnte ich mit hämmerndem Herzen auf das Brett und stand auf. Es war ein herrlicher Roller, und während ich hochoben zum Strand ritt, schrie ich, was meine siebenjährige Lunge nur hergab.
Als ich aus dem Wasser kam, wartete Onkel John mit einem großen Badetuch auf mich.
»Zieh dir die Badehose aus, damit ich dich abtrocknen kann«, sagte er.
Er kniete vor mir und frottierte mich. Plötzlich erklang hinter mir die Stimme meines Vaters. »Kannst du deine Finger nicht mal von deinem eigenen Neffen lassen, du perverses Schwein?«
Ich sah, wie sich die Augen meines Onkels hinter den randlosen Brillengläsern in Eis verwandelten. Langsam erhob er sich. Und dann bewegte er sich auf einmal so schnell, daß ich überhaupt nicht sah, was passierte. Als ich mich umdrehte, lag mein Vater lang auf dem Boden und blutete aus Mund und Nase. Mit geballten Fäusten stand mein Onkel über ihm.
Ich rannte zu meinem Vater, kniete neben ihm nieder. Schwach bewegte er seinen Kopf und versuchte zu sprechen. Zwischen seinen Lippen sah ich einen ausgeschlagenen Zahn, in seinen Augen stand Entsetzen.
In wilder Wut schrie ich meinen Onkel an. »Wage ja nicht, meinen Vater noch einmal zu schlagen, du gemeiner, schrecklicher Kerl!«
Mein Onkel starrte wortlos, mit traurigem Gesichtsausdruck auf uns nieder.
Ich versuchte, den Kopf meines Vaters anzuheben. »Steh auf, Daddy, steh auf!«
Mühsam richtete mein Vater seinen Oberkörper auf, saß jetzt wenigstens. Als ich aufschaute, sah ich Onkel John den Strand hinuntergehen, zu seinem Auto. Danach ließ er sich sehr lange nicht mehr bei uns sehen. Und als er schließlich wieder kam, gab es sie nicht mehr, die enge Bindung, die einmal zwischen uns existiert hatte.
Als ich den Bungalow beim Hotel betrat, war es schon spät. Ich war am Strand ins Dösen gekommen, und danach war ich so verspannt, daß ich mich in einem dümmlichen Western abzureagieren versuchte. Eileen schlief schon. Ich ging ins Badezimmer, um mich zu duschen.
Wenig später sah ich durch das Glas der Duschkabine ihre Silhouette. »Alles in Ordnung?« fragte sie durch das Rauschen des Wassers.
»Ja.«
»Deine Mutter war um dich besorgt.«
Ich hatte völlig vergessen, daß sie mich zum Abendessen erwartet hatte.
»Und ich auch«, fügte sie hinzu.
»Tut mir leid«, versicherte ich, während ich die Kabine verließ. Sie gab mir ein Handtuch, und ich begann, mich abzutrocknen.
»Ich mußte ihr versprechen, daß du sie am Vormittag anrufst.«
»Okay, du kannst dich darauf verlassen.«
Sie ging zu unserem Schlafzimmer zurück, und als ich ein paar Minuten später ins Bett kletterte, drängte sie sich dicht an mich. Ich zog ihren Kopf auf meine Schulter, spürte dann die Tränen auf ihren Wangen.
»He, warum weinst du denn?«
»Ich liebe dich. Und ich kann es nicht ertragen, dich so zu sehen - in einer solchen inneren Verfassung, meine ich. Du hast doch alles, was du dir je gewünscht hast. Ich verstehe einfach nicht, weshalb du unglücklich bist.«
Ich küßte sie und wischte ihr die Tränen von den Wangen. Doch es gab nichts, was ich hätte sagen können. Eine Erklärung hatte ich auch nicht.
Ihre Finger glitten sacht über mein Gesicht. »Armer Gareth«, flüsterte sie mit schläfriger Zärtlichkeit. »So viele Kriege.«
Es gibt einen Unterschied zwischen altem Geld und neuem Geld. Neues Geld kauft Antiquitäten und restauriert sie zu ihrem jungfräulichen Originalzustand, so daß es einen kaum noch verwundern würde, wenn Ludwig XV. leibhaftig erschiene, um seinen königlichen Arsch auf einem Sofa zu parken. Auch altes Geld kauft Antiquitäten, läßt sie aber, wie sie sind. Unpoliert bleibt das Holz, verblichen der Stoff, und die Polsterung ist so klumpig, daß man das Gefühl hat, auf einem Haufen Pflastersteine zu
Weitere Kostenlose Bücher