Robbins, Harold - Träume
Schweigen. Dann begann Bruder Jonathan zu sprechen.
»Vor zweitausend Jahren wandelte Er unter uns. Ein Mensch unter Menschen. Aber Er war auch Gottes Sohn, und Er kam zur Erde, um für unsere Sünden zu büßen und uns von unseren Ängsten zu befreien. Und unserer Sünden und unserer Ängste wegen gab Er Sein Leben am Kreuz dahin. Seine Gruft befand sich in einer kleinen Pyramide, die von den Juden vor Tausenden von Jahren bei ihrer Flucht aus Ägypten erbaut worden war. Und durch die Spitze dieser Pyramide gab Gott Seinem einzigen Sohn das Leben zurück, und Jesus erhob sich aus Seinem Grab und brachte uns diese Botschaft: Ich habe für euch mein Leben dahingegeben, auf daß ihr mit mir das ewige Leben teilen könnt. Gebt ihr mir eure Sünden und euren Glauben, und ihr werdet für alle Zeit bei mir im Himmelreich sein.«
Leise klang es im Chor: »Amen.«
Bruder Jonathan fuhr fort: »Seit jener Zeit hat der Mensch immer wieder versucht, die Stufen der Pyramide zum Himmel zu erklimmen, doch seine eigene Schwäche ließ ihn nie ans Ziel gelangen. Immer wieder mußte er auf halbem Wege aufgeben. Erst als Reverend Sam das Prinzip der Sieben Ebenen entdeckte, wurde die Wahrheit offenbar. Der Mensch kann nicht zu Gott gelangen, wenn er sich zuvor nicht von den Sieben Todsünden befreit hat - Stolz, Geiz, Unkeuschheit, Neid, Unmäßigkeit, Zorn und Trägheit. Je mehr Sünden ein Mensch hat, desto niedriger ist die Ebene seiner Existenz und desto weiter ist er von Gott entfernt; je weniger Sünden er hat, desto höher ist die Ebene seiner Existenz und desto näher befindet er sich bei Gott. Und nur von der allerhöchsten Stufe kann ein Mensch emporklimmen zur Spitze der Pyramide und im reinen Licht Gottes stehen. Reverend Sam hat uns gezeigt, daß es jedem von uns möglich ist, dieses Ziel zu erreichen. Helfend reicht er seine Hand zu uns herab, um uns emporzuheben in das reine Licht des Herrn. Möge er weiter in Gottes Gnade stehen. Gelobt sei der Herr Jesus Christus. Amen.«
Raschelnde Geräusche erklangen. Alle bewegten sich sacht und antworteten dann wieder im Chor: »Amen.«
Bruder Jonathans Stimme wirkte sehr sanft. »Alle, die wir hierherkommen, befinden wir uns auf der fünften Ebene der Treppe zum Himmel. Noch haben wir eine ganze Anzahl weiterer Ebenen zu erklimmen, bevor wir hoch oben im reinen Licht stehen können. Wir werden damit beginnen, daß wir uns selbst und einander jene Sünde bekennen, die uns am heftigsten plagt. Wer will es als erster tun?«
Ein kurzes Schweigen, dann erklang die Stimme von Denise. »Ich, Bruder.«
»Und die Sünde, die du bekennst, Schwester?«
Ich ließ die Augen durch den Raum gleiten. Niemand wandte den Kopf, um nach Denise zu blicken. Alle saßen sehr still, die Hände im Schoß gefaltet und die Augen auf den Gekreuzigten an der Wand gerichtet. Auch Denise blickte zum Kruzifix.
»Ich bekenne die Sünde der Unkeuschheit, Bruder.« Sie schloß die Augen und sprach mit gedämpfter Stimme. »Vor einigen Wochen lernte ich einen Mann kennen, und seit ich ihn kenne, brennt in meinem Körper ein Feuer, und mein Gehirn ist erfüllt von lüsternen Bildern und Begierden. Wenn ich an ihn denke, werden meine Beine schwach und mein Geschlecht fließt über. Ich liege im Bett und masturbiere, und sein Bild steht immerzu vor meinem inneren Auge. In meinem Begehren nach ihm habe ich mit anderen Männern geschlafen und ihre Körper gebraucht, um die Begierde in meinem eigenen zu beschwichtigen. Doch jetzt, da ich mit ihm geschlafen habe, bin ich noch immer nicht befriedigt. Meine Begierde nach ihm bleibt ungestillt. Meine Gedanken gelten einzig dem Sex. Ich bin eine Sklavin meiner Fleischeslust, kann an nichts anderes mehr denken.«
Ihre Stimme verklang, und sie beugte den Kopf. Ich sah, daß sie weinte. Nach einem Augenblick fügte sie leise hinzu: »Ich bekenne meine Sünde und bitte den Herrgott um Rat.«
»Wir wollen uns mit unserer Schwester zum Gebet vereinen«, sagte Bruder Jonathan, und sekundenlang klang gedämpftes Gemurmel; dann fuhr Bruder Jonathan fort: »In den Augen Gottes gibt es nur Liebe, Schwester, und Liebe nimmt vielerlei Gestalt an, die körperliche Liebe ebenso wie die unkörperliche. Und manchmal bleibt nur die Möglichkeit, seine Liebe mit dem Körper auszudrücken. Erforsche sorgfältig dein Herz, Schwester. Kann es sein, daß du diesen Mann wahrhaft liebst?«
Ihre Stimme klang noch leiser als zuvor. »Ich weiß es nicht, Bruder. Alles, was ich bisher
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