Robert Enke
jemals reingekriegt hat, und da war er schon immer fertig.
Was ist denn da heute Abend bei euch los?« Brian O’Neil hatte das 5:1 für den VfL Wolfsburg geschossen. Die Fans sangen: »Nur
noch drei, nur noch drei!« Dann hätten sie Leverkusens Schützenfest wiederholt. Das Spiel endete 7:1.
Robert Enke war berühmt. 15 Tore in einer Woche hatte noch nie ein Torwart in der Bundesliga hinnehmen müssen.
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30. Oktober 1998: Robert Enke beim 2:8 seiner Mannschaft gegen Bayer Leverkusen. [7]
Ein einziges Tor davon, der Weitschuss von O’Neil, schien für einen Torwart vermeidbar.
Wie er sich gefühlt habe, fragten die Sportreporter vor der Umkleidekabine und setzten mitleidige Mienen auf. »Ach«, antwortete
Robert Enke, »die Übung, den Ball aus dem Tornetz zu holen, hatte ich ja schon aus der Vorwoche.«
Am Tag nach dem Spiel ging er mit Teresa und dem Hund in den Feldern spazieren, es blieb bei Sieg oder Niederlage die Routine
ihrer Sonntage. Uwe Kamps’ Freundin hätte sich gewundert, was da los war.
»Na, Schießbude Enke«, sagte Teresa. Und er, den jedes Tor quälte, konnte in all seiner Niedergeschlagenheit auf einmal herzlich
lachen.
»Wir waren sehr unbeschwert«, sagt Teresa. »Wichtig war nur, dass er nichts für die Tore konnte, dann konnten wir Späße darüber
machen.«
Nach unvergesslichen Niederlagen wie in Wolfsburg musste er allerdings mit kleinen Tricks nachhelfen, um die Gelassenheit |66| zu bewahren. »Ich habe mir eingeredet, die Mannschaft hätte mich im Stich gelassen. Damit habe ich mich beruhigt.«
So oft hatte er sich als Torwart selbst beschuldigt; für Tore, an denen ihn wenig Schuld traf, oder dafür, die Mitspieler
enttäuscht zu haben, wenn niemand von ihm enttäuscht war. Nie wurde er derart entschuldigt wie nach den 15 Toren.
»Und schützt mir diesen jungen Torhüter, der kann nichts dafür!«, hörte Teresa in der Bar den Fernsehkommentator rufen, als
die Kamera zum letzten Mal Robert mit dem verständnislosen Blick am Boden einfing.
Während er von allen Seiten bescheinigt bekam, wie beeindruckend ruhig er in einer aufgescheuchten Mannschaft weiterspielte,
vergaß er selbst, dass er einmal flatterig vor Angst gewesen war, vor drei Jahren mit Carl Zeiss in Leipzig und im ersten
Winter in Mönchengladbach. »Ich bin psychisch nicht so labil, dass ich mir jetzt vor dem nächsten Spiel in die Hose mache«,
sagte er den Sportreportern. »Bleibende Schäden sind bei mir nicht zu befürchten.«
Je mehr ihn die Leute für seine Ruhe und Souveränität lobten, desto abgeklärter spielte er; ohne dass er diese Wechselwirkung
bemerkte. Ein Jahrzehnt später absolvierte er mit der Elf von Hannover 96 den Reiss-Profiltest, der die Persönlichkeit und
Motivation eines Mitarbeiters feststellen soll. Er hätte nie gedacht, dass Anerkennung für ihn so elementar wichtig sei, sagte
er verblüfft zu Teresa, als er das Ergebnis in den Händen hielt. Ihr aber war schon damals in Mönchengladbach aufgefallen,
»wenn er spürte, dass andere an ihm zweifelten, bekam er Selbstzweifel, wenn er sich von anderen unter Druck gesetzt fühlte,
wurde er unsicher. Und wenn er Rückendeckung erhielt, war er unglaublich stark als Torwart.«
In Hamburg stand es nach einer halben Stunde schon wieder 2:0 für den Gegner. Die Flanke flog herein, Hamburgs Stürmer Anthony
Yeboah, der ein Tor kommen spürte, dessen Bewegungen in diesem Moment ein unfassbares Tempo, eine höhere Koordination erreichten,
war zum wiederholten Male einen halben Schritt schneller als sein Mönchengladbacher Bewacher |67| Thomas Eichin; und Robert Enke hatte das Nachsehen. Yeboahs Schuss flog durch seine Beine ins Tor. Ein präziser Schuss durch
die Beine ist für einen Torwart unhaltbar, so schnell bringt niemand die Beine zusammen, der breitbeinig für den Absprung
in jede Torecke bereitstehen muss. Aber ein Beinschuss lässt den Torwart immer lächerlich aussehen; tapsig landet er nach
dem unmöglichen Rettungsversuch auf dem Hintern. Das Gespött des Publikums ist ihm sicher. Als er wieder aufstand, pochte
die Wut in Robert Enke. Er fühlte sich alleine gelassen, gedemütigt, es war Eichins Fehler gewesen, und jetzt lachten die
Leute über ihn. Er wollte gerne losbrüllen. Aber er glaubte, ein Torwart, der die Ruhe verliere, sei verloren. Er rang mit
seiner Wut, und das Wissen, dass so viele ständig seine große Gelassenheit lobten, half ihm dabei. Er war der Coole,
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