Robert Enke
rauschte, während er über Handy im Büro von Benficas Präsidenten Bescheid gab, dass sie leider die
Präsentation verschieben müssten, der Frau des Torwarts ginge es nicht gut, sie würden morgen mit dem ersten Flugzeug zurückreisen,
ja, leider. Welche Erleichterung, dass der Anstand Sekretärinnen gebietet, keine neugierigen Nachfragen zu stellen. Es blieb
Jupp Heynckes.
Jörg machte kehrt und ging die Rua Castilho wieder zurück, vorbei an der Sotheby’s-Vertretung und dem Ritz-Hotel, die er |87| nicht wahrnahm. Es ging leicht bergauf, das war gut, je mehr körperliche Anstrengung, desto weniger bemerkte er die nervliche
Anspannung.
Jupp Heynckes meldete sich freundlich am Telefon.
Jörg wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen und redete drauflos, ohne dem Trainer eine Chance zu geben, ihn
zu unterbrechen. Robert gehe es schlecht, die Angst vor dem Ausland, ganz plötzlich, ein junger Kerl, kurz gefasst, sie müssten
sofort abreisen, es gebe keine andere Möglichkeit, alles Weitere werde man sehen, aber um ehrlich zu sein, Roberts Wechsel
zu Benfica sei fraglich.
»Herr Neblung, Sie sind maßlos arrogant.«
»Ja, das tut mir auch sehr leid. Aber es geht nicht anders.«
Er bemerkte, dass er schon wieder auf dem Weg die Straße hinunter war, als er aufgelegt hatte und stehen blieb.
»Heynckes musste sich angesichts der Gepflogenheiten im Profifußball natürlich gedacht haben, wir hätten plötzlich ein besseres
Angebot für Robert und wollten ihn deshalb unter Ausreden bei Benfica rausboxen. Deshalb konnte ich verstehen, dass der Trainer
mir in diesem Moment nur das Schlechteste unterstellte. Berater sind ja auch dafür da, die Schläge abzufangen, damit es nicht
den Spieler trifft. Das war schon in Ordnung so, dass ich mich von Heynckes beschimpfen lassen musste.«
Am Abend blieben sie im Hotel. Jörg buchte die Rückflüge auf den nächsten Tag um. Robert ging früh ins Bett.
Am nächsten Morgen kaufte ihm Jörg am Flughafen den
Record
mit der Schlagzeile »Enke unterschreibt«. Robert Enke sah auf dem Titelfoto, wie glücklich er lächelte. Jetzt hatte er nur
ein einziges Ziel: weg aus Lissabon. Er war zu erschöpft von der Angst, um daran zu denken, dass jemand, der wegfliegt, auch
irgendwo ankommen und weitermachen muss.
Teresa und er fuhren erst einmal in den Urlaub. Gleich hinter dem kilometerlangen Strand von Domburg begannen die Dünen mit
ihrem windzersausten Gestrüpp. Die Wolken schienen sich auf den Sandhügeln auszuruhen, so tief hingen sie über |88| dem äußersten Zipfel Südhollands. Robert Enke sah den Hunden nach, wie sie durch die Dünen rannten.
Teresa und er erwähnten den Abend von Lissabon nicht, aber das Ausblenden hatte nichts Verkrampftes. Es schien hier einfach
kein Thema zu sein.
Wir haben vier Wochen Zeit, bis bei Benfica das Training beginnt, dachte sich Teresa. In vier Wochen konnte alles Mögliche
passieren.
In der Agentur von Norbert Pflippen planten sie unterdessen die Zukunft. Der Flippi rief noch einmal Edgar Geenen an, den
Sportdirektor von 1860 München. Jetzt würde Robert Enke vielleicht doch noch zu 1860 kommen. Aber die Aussicht, sich in einen
Rechtsstreit um einen Spieler zu stürzen, der vor zwei Monaten nicht zu ihnen wollte und nun bei einem anderen Verein unterschrieben
hatte, fand Geenen wenig verlockend.
Der einzige Ausweg war, Robert dazu zu bewegen, doch nach Lissabon zu gehen.
Der Flippi telefonierte mit Jupp Heynckes.
»Liebe Leute, das kann doch alles nicht wahr sein!«, rief der Trainer.
»Wem sagst du das! Jupp, ich verstehe dich doch, ich bin auf deiner Seite. Der Junge ist nur ein bisschen durch den Wind,
die Paparazzi in Lissabon haben ihn scheu gemacht, der Empfang war zu viel für ihn.«
»Seht ihr eigentlich noch die Realität? Der hat hier einen exzellenten Vertrag bekommen, und zwar weil ich für ihn gebürgt
habe!«
»Das weiß ich doch, Jupp, das sage ich dem Jungen doch auch. Wir versuchen das zu regeln, gib ihm ein wenig Zeit.«
Er habe keine Zeit, er habe eine Saison zu planen, sagte Heynckes, und sein Ton näherte sich dem eines Trainers, der in der
Halbzeitpause bei einem 0:4-Rückstand zu seiner Mannschaft spricht.
Wenig später kam eine Meldung aus Portugal. Jupp Heynckes hatte einen neuen Torwart verpflichtet.
Das Internet war in seinen Anfängen, Jörg gab den Namen des neuen Mannes in die Suchmaschine ein.
|89| Carlos Bossio.
Vier Jahre älter als
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