Robert Enke
noch. Er schien zu reden, ohne
den Mund zu bewegen.
»Man muss sich immer wieder sagen, es gibt noch andere Sachen außer Fußball, aber …«, er ließ den Satz unvollendet. »Ich bin
launisch geworden.«
Ich erzählte ihm, was ich von einem Agenten, dem Südafrikaner Rob Moore, gehört hatte. Barças Geschäftsführer Javier Pérez
Farguell hatte einigen Spielervermittlern mit internationalen Kontakten wie Moore Anfang Dezember eine Liste von sieben Profis
gegeben, die in der Winterpause zum Verkauf stünden. Roberts Name stand darauf.
Er entgegnete nichts, sein Gesicht blieb ein Standbild. Seine Augen waren die eines Mannes auf der Suche nach dem verlorenen
Lachen.
Eike Immel, der Torwartcoach des deutschen Trainers Christoph Daum bei Austria Wien, rief an. Sie würden bei Austria mit einem
Riesensponsor gerade eine richtig große Sache aufbauen. Sie seien sehr an ihm interessiert.
Österreich. Robert Enke stellte gerade fest, dass es bei den |186| größten Klubs nicht immer traumhaft zuging, aber die beschauliche österreichische Liga war dann vielleicht doch zu sehr das
andere Extrem.
Immel rief wieder an. Es wäre doch erst einmal nur ein Leihgeschäft, ein halbes Jahr, um wieder Spielpraxis zu sammeln und
sich für weitere Aufgaben zu präsentieren.
Im Moment denke er nicht an einen Wechsel, sagte Robert Enke.
Barça ging als Tabellenzehnter in die Weihnachtsferien. Das Madrid der Galaktischen hatte praktisch doppelt so viele Punkte
gesammelt; das Unvorstellbare war Realität. »Weißt du, was heute wieder los war«, sagte Robert am Telefon zu Marco. »Van Gaal
stieg vor der gesamten Mannschaft auf eine Massagebank und brüllte uns von oben herab an.«
Das Nomadentum trieb Robert und Marco immer weiter auseinander, Lissabon, Barcelona, Ried, Athen, Nürnberg, sie wanderten,
doch so weit sie sich auch voneinander entfernten, ihr Kontakt blieb eng. Sie konnten sich allenfalls ein-, zweimal im Jahr
sehen, aber Robert hatte sich längst auf diese Fernfreundschaft eingestellt. Er glaubte daran, »dass du im Leben nur drei,
vier richtige Freunde hast« und selten das Glück, am selben Ort mit ihnen zu wohnen. Zu Silvester kamen Marco und Christina
nach Sant Cugat. Es war eine Art Hochzeitsreise. Sie hatten vor Weihnachten geheiratet, für Flitterwochen und Freundebesuchen
ließ ihnen der Fußball keine Zeit, also kombinierten sie es.
Sie begrüßten das neue Jahr auf der Plaça de Catalunya. Um Mitternacht hieß es schnell sein. Mit jedem der zwölf Glockenschläge,
die den Beginn des Jahres 2003 verkündeten, schluckten sie eine Traube, es ist die spanische Neujahrestradition,
las uvas de suerte
, die Trauben des Glücks.
»Robbi und ich gehen nach Hause, wir sind müde«, sagte Marco kurz darauf. Teresa sah Robert kritisch an. Fiel er schon wieder
in die Melancholie?
Teresa und Christina gingen mit den Freunden aus der deutschen Kolonie tanzen. Robert und Marco gingen schlafen. Sagten sie.
|187| Zu Hause in Sant Cugat öffneten sie eine Weinflasche. »Erzähl noch mal unsere Geschichten von der Bundeswehr«, bat Robert.
Als Teresa und Christina um vier Uhr morgens nach Hause kamen, hörten sie lautes Gelächter aus dem Wohnzimmer.
Irgendwann in den nächsten Tagen ergab sich für Teresa die Gelegenheit, Marco unter vier Augen zu sprechen. »Du bist einer
der wenigen Menschen, bei denen Robbi sich öffnet. Bitte, versuch ihm zu helfen.«
Marco Villa hatte immer den Clown als seine Rolle betrachtet. »Wenn du mir mit 19 gesagt hättest, ›die Psyche‹, hätte ich
dir geantwortet: Was ist das denn?« Aber er ist Leistungssportler. Er hat den Drang, Ziele zu erreichen, und so machte er
sich hartnäckig daran, seinen Freund aus diesem Leben zu ziehen, das sich fast nur noch im Inneren abspielte. Marco sprach
alles an, was ihm auffiel, du klingst heute nicht gut, Robbi, er fragte, wie geht es mit dir und dem Torwarttrainer. Robert
kam in seinen Antworten meistens schnell auf andere Leute, auf Ereignisse oder Dinge zu sprechen, um nicht über sich reden
zu müssen. Marco fragte weiter. Es würde Jahre dauern, aber irgendwann würde Robert ihn von sich aus anrufen, wenn es ihm
schlecht ging.
Sie waren 15, als Marco Villa beim Bundesländerpokal der B-Jugend in Wedau allein auf das Tor der Thüringer Auswahl zustürmte.
Er sah den Torwart vor sich, er kannte Robert Enke bereits aus der Jugend-Nationalelf, der Gedanke schoss ihm durch den Kopf,
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