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Roberts Schwester

Roberts Schwester

Titel: Roberts Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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wussten zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass sich ein Großteil unserer Geschäfte per Telefon am Schreibtisch erledigen lassen würde. Robert war viel unterwegs. Manchmal begleitete Marlies ihn, doch meist war ihr das zu anstrengend. Hotels fand sie unbequem, mochten sie noch so komfortabel sein. Mir war es an Roberts Seite nirgendwo zu anstrengend oder unbequem. Wir hätten sogar ein Doppelzimmer nehmen können. Warum auch nicht, er war mein Bruder. Und jetzt war er tot. Ein Loch in den Kopf geschossen. Es hätte mein Kopf sein müssen. Mittwochs und donnerstags war ich vor Schmerzen beinahe verrückt geworden. Freitags war es nur noch ein dumpfer Druck, verursacht von Serges Spezialdrinks und der Leere, diesem schwarzen Loch, in das ich mit meinem Begreifen hineingefallen war. Ich hörte Gemurmel, als ich daraus wieder auftauchte. Die Stimmen von Isabell und Piel. Sie standen bei der Tür und unterhielten sich flüsternd. Ich lag wieder auf der Couch in meinem Atelier. Und einen winzigen Moment lang dachte ich, es sei nur ein wüster Albtraum gewesen. Es war kein Albtraum. Ich verstand genau, was Isabell zu Piel sagte.

    «Ich mache mir große Vorwürfe. Ich hätte mich nicht auf Ihre Ferndiagnose verlassen dürfen. Sie haben ja nicht gesehen, in welchem Zustand sie war. Ich dachte, sie bringt uns noch alle um. Ich hätte sofort die Polizei rufen müssen.»
    Die beiden Polizisten waren inzwischen weg. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich in der Dunkelheit zugebracht hatte. Ich blinzelte ins Licht. Es schmerzte im Auge. Als ich den linken Arm über die Stirn legte, wurde Piel aufmerksam. Er kam zur Couch, Isabell blieb bei der Tür stehen und starrte aus ängstlichen Augen zu mir herüber. Ich wünschte mir, ich hätte weinen können. Aber ich hatte keine Tränen. Ich empfand keine Trauer. Ich dachte, es müsste brennen im Innern. Es müsste ein unerträglicher Schmerz in der Herzgrube sein. Ich war innerlich nur ganz trocken. Und jetzt war niemand mehr da, der Leben in die Wüste hätte bringen können. Piel gab sich Mühe. Er war ein kleines, verschrumpeltes Männchen. Bei meinem ersten Besuch war er Anfang vierzig, da hatte er noch durchaus imponierend gewirkt, wenn er in seinem Sessel saß und mit dem Stift auf den Notizblock in seinem Schoß oder gegen die Sessellehne klopfte.

    «Können Sie erklären, was an Ihrem Bruder so faszinierend auf Sie wirkt, Mia? Ist es vielleicht nur die Tatsache, dass er der einzige Mann ist, den Sie nicht haben können?»
    Vielleicht hätte ich ihm nie erzählen dürfen, wie viele Männer ich gehabt hatte. Es waren sehr viele, als ich das erste Mal bei Piel in Behandlung war. Meist reizten sie mich nur für eine Nacht, manchmal war es schon nach einer Stunde vorbei. Piel nannte es eine rastlose Suche nach einem Ersatz. Und es lief immer auf die bewusste Frage hinaus, ob ich mit Robert schlafen wollte.

    «Nein», sagte ich.

    «Ich will es auch nicht erklärt bekommen.»
    Was ich wollte, kümmerte Piel natürlich nicht.

    «Sie haben ihn häufig unbekleidet gesehen», meinte er.

    «Was war denn an dem bewussten Augustsonntag so anders?»
    Irgendwann reichte es mir und ich sagte:

    «Er hatte eine Erektion.»
    Piel war mit meiner Antwort zufrieden. Für ihn war die Sache einfach. In seinen Augen hielt ich mich für die Göttin, die vom Olymp herabsteigen konnte, um Robert auf den Gipfel der Lust zu führen. Und ich war die Göttin, die vom Olymp herabschaute auf all die kleinen Spießer und Querulanten, auf all die nichtigen, dummen, ahnungslosen Versager. Von seinen Erkenntnissen war Piel nie abgewichen. Nur hatte er mit den Jahren einen Großteil seiner Autorität eingebüßt. Er war eben alt geworden. Aber er war immer noch der Mann, der mein Innerstes nach außen gekehrt und dann versucht hatte, es in seine Schablonen zu pressen. Oft hatte ich mir gewünscht, es möge ihm gelingen. Weil in seinen Schablonen kein Platz war für die Wut und die Depression. Dass beides hinter mir blieb, wenn er mich durchquetschte und mich den Normen anpasste. Oder dass er endlich eine Erklärung fand, die ich ebenso akzeptieren konnte wie er. Solch eine Erklärung schien es nicht zu geben. Piel beugte sich über mich und griff nach meiner linken Hand.

    «Wie fühlen Sie sich, Mia?»
    Blöde Frage. Wie sollte ich mich fühlen? Ich hatte niemals ein eigenes Gefühl besessen außer Zorn und Ohnmacht. Ich hatte immer nur Robert, und Piel wusste das.

    «Wissen Sie, mit wem Ihr Bruder sich in der

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