Robinson Crusoe
überfallen, daß ich die Hände rang und weinte wie ein Kind. Manchmal packle es mich mitten in der Arbeit, daß ich jählings stille saß und seufzte und die Erde unier mir ein paar Stunden lang anstarrte. Und das war am allerschlimmsten. Denn wenn ich mir in Tränen oder Worten Luft machen konnte, ging es vorüber, und der Kummer ließ nach, weil er sich selber erschöpfte.
Nun begann ich mich in neuen Gedanken zu üben; ich las täglich in Gottes Wort und wandte alle seine Tröstungen auf meinen gegenwärtigen Zustand an. Eines Morgens, als ich sehr traurig war, schlug ich die Bibel bei den Worten auf: «Ich will dich niemals, niemals verlassen, noch mich von dir abwenden.» Sogleich hatte ich das Gefühl, daß diese Worte zu mir gesprochen seien. Warum sonst wären sie mir gerade in dem Augenblick vor Augen gekommen, als ich mich, als ein von Gott und den Menschen Verlassener, über meine Lage grämte? Nun wohl, sagte ich zu mir, wenn Gott mich nicht verläßt, was kann es mir anhaben oder was kümmert es mich, wenn mich auch die ganze Welt verläßt? Hingegen wenn ich die ganze Welt besäße und hätte die Gnade und den Segen Gottes nicht, wer oder was könnte mir diesen Verlust ersetzen?
Von diesem Augenblick an begann ich in meinem Sinn zu folgern, daß es für mich möglich sei, mich in meiner verlassenen einsamen Lage glücklicher zu fühlen, als es vermutlich in irgendeinem anderen Zustand auf Erden jemals der Fall gewesen wäre; und indem ich so dachte, schickte ich mich an, Gott dafür zu danken, daß er mich hierhergebracht hatte.
Irgend etwas jedoch, ich weiß nicht, was es war, schien mir anstößig an diesem Vorhaben, und ich wagte die Worte nicht auszusprechen. «Wie kannst du so ein Heuchler sein», sagte ich zu mir, und sogar mit lauter Stimme, «zu behaupten, du seist dankbar für eine Lage, aus der du doch, magst du dich auch noch so sehr bemühen, zufrieden mit ihr zu sein, von Herzen gern befreit werden möchtest?» Also hielt ich inne. Aber obwohl ich Gott nicht für mein Hiersein zu danken vermochte, dankte ich ihm doch aufrichtig dafür, daß er mir, wenn auch durch noch so schmerzliche Fügungen, die Augen über den früheren Zustand meines Lebens geöffnet und mich dahin geführt hatte, meine Gottlosigkeit zu beklagen und zu bereuen. Ich öffnete oder schloß die Bibel niemals, ohne in innerster Seele Gott dafür zu preisen, daß er meinem Freund in England eingegeben hatte, sie ohne eine Anweisung von mir mit einzupacken, und auch dafür, daß er mir hernach beigestanden hatte, sie aus dem Wrack zu bergen.
In solcher Gemütsverfassung begann ich mein drittes Jahr, und obgleich ich dem Leser keinen so ausführlichen Bericht über die Arbeiten de zweiten Jahres gegeben habe wie über die des ersten, so wird man doch wohl bemerkt haben, daß ich seilen müßig gewesen bin. Ich halte meine Verrichtungen regelmäßig auf den Tag verteilt; zuerst meine Pflicht gegen Gott und das Lesen der Schrift, wofür ich stets dreimal täglich eine bestimmte Stunde ansetzte; zweitens die Jagd, die gewöhnlich drei Stunden jeden Morgen beanspruchte, wenn es nicht regnete; drittens das Einteilen, Zurichten, Verwahren und Kochen meiner Beute, womit ein großer Teil des Tages hinging. Dabei muß man bedenken, daß ich mich mittags, wenn die Sonne am höchsten stand, vor Hitze nicht rühren konnte, so daß ich nachmittags nur noch vier Stunden zur Arbeit halle. Ausnahmsweise vertauschte ich manchmal die Stunden der Jagd mit denen der Arbeit und ging morgens an die Arbeit und nachmittags auf die Jagd. Bei dieser kurzen Arbeitszeit muß man noch bedenken, wie schwer und mühselig meine Arbeit war. Der Mangel an Werkzeugen, an Hilfe und Erfahrung kostete mich viele Stunden. Zürn Beispiel brauchte ich volle zweiundvierzig Tage, um mir ein Brett für ein langes Bord zu machen, das ich in meiner Höhle anbringen wollte, während zwei Schreiner mit ihren Werkzeugen und Sägen aus ein und demselben Baum in einem halben Tag deren sechs hallen schneiden können. Die Sache war die: es mußte ein großer Baum sein, der gefällt werden sollte; denn mein Bord sollte breit werden. Um diesen Baum umzulegen, brauchte ich drei Tage, und dann wieder zwei, um die Äste abzuschlagen und ihn zu einem Balken oder Bauholz zurechtzustutzen. Mit endlosem Hacken und Hauen zerschlug ich die beiden Seiten in Späne, bis er leicht genug war, um sich bewegen zu lassen; dann drehte ich ihn um und machte die eine Seite glatt und flach wie ein
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