Robocalypse: Roman (German Edition)
sehen können, ob ich will oder nicht.
Ich halte den Atem an.
Irgendwo draußen schreit ein Bussard. Ein langes schwarzes Bein erscheint, nicht mal einen Meter vom Fenster entfernt. Es läuft spitz zu und hat auf der Unterseite scharfe, nach oben gebogene Schuppen, wie das Bein eines Insekts. Die einzelnen Glieder sind kalt, aber die Gelenke, mit denen es sich bewegt hat, sind warm. Als es sich weiter vorschiebt, erkenne ich, dass es sich in Wirklichkeit um ein noch viel längeres, eingefaltetes Bein handelt – zusammengezogen und zum Zuschlagen bereit. Auf irgendeine Weise schwebt es mit nach vorne gerichteter Spitze über dem Boden.
Dann entdecke ich zwei warme Menschenhände. Sie halten das Bein wie ein Gewehr. Eine schwarze Frau erscheint. Sie hat graue Lumpen an und eine dunkle Schutzbrille über den Augen. Sie hält das zusammengezogene Bein wie eine Waffe vor den Körper, hat eine Hand um einen selbstgemachten Griff gelegt. Hinten sehe ich einen glänzenden, geschmolzenen Fleck auf dem Bein und begreife, dass es von irgendeiner großen Gehmaschine abgetrennt wurde. Die Frau sieht mich nicht und geht langsam weiter.
Nolan hustet leise.
Die Frau fährt herum und richtet instinktiv das Bein auf das Fenster. Als sie den Abzug drückt, streckt sich das Bein blitzartig aus. Die Spitze schlägt neben meinem Gesicht durchs Glas, und Scherben fliegen durch die Luft. Gerade rechtzeitig springe ich zur Seite, bevor das Bein sich wieder zusammenzieht und dabei ein Stück des Fensterrahmens rausreißt. Ich falle auf den Rücken, auf mir plötzlich das helle Licht, das durch das zerschmetterte Fenster in den Raum fällt. Ich gebe ein erschrockenes Quietschen von mir, und Nolan legt mir schnell die Hand auf den Mund.
Ein Gesicht erscheint am Fenster. Die Frau schiebt sich die Schutzbrille auf die Stirn, steckt den Kopf durchs Fenster und zieht ihn sofort wieder weg. Dann sieht sie auf Nolan und mich herab. Ihr Kopf ist von so viel Licht umgeben, und ihre Haut ist kalt, und ich kann durch ihre Wange sehen und ihre hellen Zähne zählen.
Sie hat meine seltsamen Augen bemerkt, wendet jedoch nicht den Blick ab. Sie mustert Nolan und mich einfach nur kurz und grinst dabei.
»Tut mir leid, dass ich euch erschreckt habe, Kinder«, sagt sie. »Ich dachte, ihr wärt Rob. Mein Name ist Dawn. Habt ihr beide vielleicht Hunger?«
***
Dawn ist nett. Sie nimmt uns in das unterirdische Versteck mit, in dem der New Yorker Widerstand lebt. Das Tunnelhaus ist noch leer, aber laut Dawn werden die anderen bald vom Spähen, Proviantbesorgen und etwas namens Wachdienst zurück sein. Darüber bin ich froh, denn Nolan sieht nicht sehr gut aus. In der sichersten Ecke des Raumes liegt er auf einem Schlafsack. Ich glaube nicht, dass er noch laufen kann.
In der Zuflucht ist es warm, und man hat das Gefühl, man ist in Sicherheit. Doch Dawn sagt, wir müssen leise und vorsichtig sein, weil ein paar der neuen Roboter sehr gut graben können. Sie meint, die kleinen Maschinen graben sich geduldig durch die Erde und werden von feinsten Schwingungen angezogen. Gleichzeitig jagen große Maschinen in den Tunnels nach Menschen.
Das macht mich nervös, und ich suche die Wände nach Schwingungen ab. Ich sehe allerdings keine der vertrauten Impulse über die rußigen Kacheln laufen. Dawn sieht mich seltsam an, als ich ihr sage, dass gerade nichts in den Wänden ist. Aber sie sagt nichts über meine Augen, noch nicht.
Stattdessen lässt sie mich mit dem Insektenbein spielen. Solche Beine heißen Spiker. Wie ich mir dachte, stammt der Spiker von einer großen Gehmaschine. Diese Maschinen nennen sich Gottesanbeterinnen, aber Dawn nennt sie »Krabbelrobs«. Der lustige Name bringt mich zum Lachen. Dann fällt mir wieder ein, dass Nolan schlimm verletzt ist.
Ich kneife die Augen zusammen und sehe in den Spiker hinein. Innen gibt es keine Drähte. Die Gelenke reden über die Luft miteinander. Per Funk. Das Bein muss nicht darüber nachdenken, wo es hingeht. Jeder Teil ist so gebaut, dass er mit den anderen Teilen zusammenarbeitet. Das Bein beherrscht nur eine Bewegung, aber die ist ziemlich effektiv, weil sie Stechen und Reißen miteinander kombiniert. Dawn hat Glück, denn ein einfacher elektrischer Impuls bringt das Bein dazu, sich zu strecken oder zu beugen. Sie sagt, das ist sehr nützlich.
Als der Spiker plötzlich anfängt, in meinen Händen zu zucken, lasse ich ihn fallen. Kurz liegt er still da. Wenn ich mich auf die Gelenke konzentriere, streckt
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