Robocalypse: Roman (German Edition)
viel getan.
Wir schafften es in die Stadt, und als wir um eine Ecke bogen, gab es eine Explosion. Nolan fiel hin, aber er stand sofort wieder auf. Wir rannten ganz schnell weiter, Hand in Hand, genau wie ich es Mami versprochen hatte. Wir sind gerannt, bis wir in Sicherheit waren.
Erst danach, als wir wieder ganz normal gingen, fiel mir auf, wie blass Nolan war. Später fand ich heraus, dass er kleine Metallsplitter im Rücken hatte. Er zitterte zwar am ganzen Leib, hielt sich aber aufrecht.
»Bist du okay, Nolan?«, frage ich.
»Ja«, sagt er. »Mein Rücken tut weh.«
Er ist so klein und tapfer, dass ich heulen möchte. Aber ich kann nicht heulen. Nicht mehr.
Die Maschinen in Camp Scar haben mir weh getan. Sie haben mir meine Augen weggenommen. Aber dafür haben sie mir andere Augen gegeben. Jetzt kann ich mehr als vorher sehen. Wenn der Boden bebt, sieht es aus, als liefen kleine Wellen aus Licht darüber. Auch Autoreifen hinterlassen warme helle Spuren auf dem Asphalt. Am schönsten sind aber die großen Lichtstreifen, die kreuz und quer über den Himmel sausen, wie auf Banner gedruckte Slogans. Das sind die Funkstrahlen der Maschinen. Wenn ich die Augen zusammenkneife und mich ganz doll anstrenge, verstehe ich manchmal sogar, was die Maschinen zueinander sagen.
Menschen zu erkennen fällt mir schwerer.
Meinen kleinen Bruder Nolan zum Beispiel kann ich nicht mehr sehen, nur noch seinen warmen Atem, die Muskeln in seinem Gesicht, und wie er mir nicht mehr in die Augen sehen will. Aber das ist egal. Ob ich nun Menschenaugen, Maschinenaugen oder Tentakel habe – ich bin immer noch seine große Schwester. Als ich das erste Mal in seinen Körper hineingeschaut habe, hat mir das auch Angst gemacht, deswegen weiß ich, wie er sich fühlt, wenn er meine neuen Augen betrachtet. Aber es macht mir nichts aus.
Mom hatte recht. Nolan ist mein Bruder und der einzige, den ich jemals haben werde.
Nachdem wir von Camp Scar weg sind, haben Nolan und ich hohe Gebäude gesehen und sind darauf zugelaufen, weil wir dachten, dort finden wir vielleicht Menschen. Aber es war niemand da. Oder wenn doch Leute da gewesen sind, haben sie sich wohl versteckt, schätze ich. Die Häuser waren alle ganz schön kaputt. Auf den Straßen lagen Koffer, streunende Hunde zogen gemeinsam herum, und manchmal lag irgendwo eine zusammengekrümmte Leiche. Etwas Schlimmes hat sich hier abgespielt.
Etwas Schlimmes hat sich überall abgespielt.
Je näher wir den ganz hohen Häusern kamen, umso stärker konnte ich sie spüren – die Maschinen, die sich im Dunkeln versteckten oder auf der Suche nach Menschen durch die Straßen schlichen. Lichtstreifen zuckten über uns hinweg. Die Maschinen unterhielten sich miteinander.
Manche Lichter blinkten auch ganz gleichmäßig, alle paar Minuten oder Sekunden. Das waren die Maschinen, die sich versteckt hielten und sich bei ihren Chefs meldeten. »Ich bin immer noch hier«, sagten sie. »Ich warte.«
Ich hasse diese verdammten Maschinen. Sie bauen Fallen und warten auf Menschen. Es ist nicht fair. Ein Roboter kann sich einfach irgendwo verstecken und dann auf einen Menschen warten, um ihm weh zu tun. Und er kann da ewig so warten.
Aber Nolan ist verletzt, und deswegen müssen wir schnell Hilfe finden. Ich führe uns so, dass wir die Fallensteller und Rumschleicher umgehen. Aber alles sehe ich selbst mit meinen neuen Augen nicht. Was mit Menschen zu tun hat, zeigen sie mir nicht. Ich kann jetzt nur sehen, was mit Maschinen zu hat.
Es ist gefährlich, menschenblind zu sein.
Es sah so aus, als wäre die Luft rein. Kein Maschinengeschwätz. Keine schimmernden Wärmespuren. Und hinter der nächsten Hausecke liefen plötzlich kleine Lichtwellen über den Boden. Es waren keine langgezogenen, runden Wellen wie bei etwas auf Reifen, sondern kurze, hüpfende Wellen, wie von was Großem mit Beinen.
»Hier können wir nicht bleiben«, sage ich.
Ich lege den Arm um Nolans Schultern und steuere ihn in das nächste Gebäude hinein. Wir kauern uns neben dem staubigen Fenster an die Wand. Ich stoße Nolan leicht mit dem Ellbogen an, damit er sich auf den Boden setzt.
»Bleib unten«, weise ich ihn an. »Da kommt was Großes.«
Er nickt. Sein Gesicht ist so fürchterlich bleich.
Auf den Knien spähe ich durch eine Ecke, wo die Scheibe rausgebrochen ist, und halte ganz still. Draußen werden die Lichtwellen auf dem aufgeworfenen Asphalt immer größer. Ein Monster kommt die Straße entlang. Bald werde ich es
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