Robocalypse: Roman (German Edition)
Millimeter für Millimeter aus dem Harnisch zu winden. »Archos«, erwidert er.
»Du hast dich verändert. Du bist kein Feigling mehr.«
»Du hast dich auch verändert«, entgegnet Lurker, den Blick auf die gemächlich kreisenden und sich gegeneinander drehenden Ringe gerichtet. Seine Linke ist beinah frei. »Was ein Jahr so alles ausmachen kann.«
»Es tut mir leid, dass es so sein muss«, sagt die Jungenstimme.
»Wie muss es denn sein?«, fragt Lurker, der das Ding offensichtlich von seiner sich windenden Linken ablenken will.
Dann ist die Hand frei. Lurker streckt den Arm aus, packt den dünnen Fühler und versucht, ihn abzubrechen. Man hört deutlich sein rechtes Schultergelenk aus der Pfanne schnalzen, als er sich vergeblich einer plötzlichen Bewegung des Exoskeletts widersetzt. Machtlos muss er zusehen, wie seine rechte Armklinge durch die Luft schwingt und mit einem schnellen Schnitt sein linkes Handgelenk durchtrennt.
Ein großer Fächer Blut spritzt auf die schwebende Maschine.
Mit einem kräftigen Ruck zieht der geschockt blickende Teenager auch den Rest seines Körpers aus dem Anzug. Der leere linke Arm der Maschine schlägt nach ihm, doch der Winkel ist so ungünstig, dass Lurker der Klinge ausweichen kann. Auch ein Hieb mit dem rechten Arm verfehlt ihn knapp, und er rollt sich nach vorne ab, durch die große rote Pfütze, die sich mittlerweile bis zu dem Loch mit den Kabeln ausgebreitet hat. Ohne seinen menschlichen Insassen muss das schwarze Titanskelett erst wieder die rechte Balance finden. Die winzige Verzögerung genügt Lurker, um sich zur Kante des dunklen Lochs zu ziehen.
Tsching.
Nur Zentimeter neben seinem Gesicht schlägt eine der Klingen ein, während er sich mit seinem an den Körper gepressten Stumpf in das Loch fallen lässt.
Das unbemannte Exoskelett hebt sofort den am Boden liegenden Anzug mit Arrtrads Körper auf. Mit der blutenden schwarzen Metallpuppe auf den Armen läuft die Maschine zunächst in normaler Geschwindigkeit von dem Loch weg, rennt jedoch plötzlich zur Tür hinaus.
Das komplexe Maschinenauge schwebt ein Stück über dem Loch und beobachtet geduldig, was darin vor sich geht. Im ganzen Raum blinken die vielen bunten Lämpchen wie wahnsinnig, während der Turm eine enorme Datenflut in die Welt verschickt. Schnell soll noch eine letzte Sicherheitskopie angefertigt werden.
Es dauert eine ganze Weile, bis eine heisere Stimme aus dem Loch ertönt. »Bis dann und wann, Kumpel«, sagt Lurker.
Und plötzlich wird die Welt weiß und dann tiefschwarz.
Die Zerstörung dieser zentralen Übertragungsstelle befreite etliche der verbleibenden Satelliten lange genug aus Robs Würgegriff, um der Menschheit eine Chance zum Sammeln ihrer Kräfte zu geben. Lurker wirkte nicht gerade wie ein sehr angenehmer Typ, und ich kann nicht sagen, dass ich ihn gerne persönlich kennengelernt hätte, aber ein Held war der Junge trotzdem. Ich weiß das, weil er kurz vor der Explosion des BT-Towers eine fünfzehn Sekunden lange Botschaft aufgezeichnet hat, durch die unsere Welt der sicheren Vernichtung entgangen ist.
Cormac Wallace MIL #GHA 217
Teil 4:
Erwachen
»John Henry sagte zu seinem Boss:
»Ein Mann, er ist nichts als ein Mann,
Aber eh’ dieser Dampfbohrer mich schlägt,
O Herr, da sterb’ ich lieber mit dem Hammer in der Hand.««
Aus dem amerikanischen Arbeiterlied John Henry, ca. 1920
I.
Transhuman
»Es ist gefährlich, menschenblind zu sein.«
Mathilda Perez
Neuer Krieg + 12 Monate
Ein Jahr nach Ausbruch des Neuen Krieges erreichte der Brightboy-Squad endlich die Stadt Gray Horse in Oklahoma. Milliarden Menschen auf der ganzen Welt waren ausgelöscht worden, vor allem die Bewohner großer Städte, und Millionen andere wurden in Zwangsarbeitslagern gefangen gehalten. Die meisten Menschen aus der Landbevölkerung, auf die wir trafen, waren mit dem Ausfechten ihres eigenen kleinen Kriegs gegen die Elemente beschäftigt.
Die Informationen sind nicht vollständig, aber zu diesem Zeitpunkt scheinen weltweit Hunderte kleiner Widerstandsgruppen existiert zu haben. Als unser Trupp Gray Horse erreichte, flüchtete gerade eine junge Gefangene namens Mathilda Perez aus dem Lager in Scarsdale. Mit ihrem kleinen Bruder Nolan im Schlepptau floh sie nach New York. In diesem Bericht schildert Mathilda (13) ihr Zusammentreffen mit dem New Yorker Widerstand, der von Marcus und Dawn Johnson angeführt wurde.
Cormac Wallace MIL #GHA 217
Z uerst dachte ich, Nolan hätte sich nicht
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