Robocalypse: Roman (German Edition)
nur aufspüren, weil es nach häufig wiederkehrenden Verhaltensmustern sucht.«
»Wie bitte?«
»Der User, der an dem Computer sitzt, bearbeitet wie ein Verrückter Zeitungsartikel. Allein in den letzten drei Monaten sind es mehrere hundert Artikel gewesen.«
»Tatsächlich? Und zu wem gehört die Adresse?«
»Zu einem Wissenschaftler. Er hat sein Büro im Lake-Novus-Labor im Bundesstaat Washington. Sein Name lautet Dr. Nicholas Wasserman.«
»Wasserman, hm? Vielen Dank.«
»Wiederhören.«
»Bis dann und wann.«
Klick.
Der Jugendliche beugt sich vor, so dass sein Gesicht nur noch ein paar Zentimeter von der Webcam entfernt ist. Während er auf der Tastatur herumtippt, sind seine Aknepickel gut zu erkennen, die in einem großen fraktalen Muster beide Wangen überziehen. Als er lächelt, glänzen seine Zähne gelb im Licht des Monitors.
»Jetzt hab ich dich, Nicky«, sagt er in den leeren Raum hinein.
Ohne das Telefon anzusehen, hat Lurker bereits mit dem Daumen die Nummer gewählt. Wieder knarrt der Stuhl, als er sich grinsend nach hinten lehnt.
Am anderen Ende der Leitung klingelt es.
Und klingelt. Und klingelt. Bis endlich jemand abhebt.
»Lake-Novus-Labor.«
Der Teenager räuspert sich. Dann spricht er mit schleppendem Südstaatenakzent: »Nicholas Wasserman, bitte.«
Die Frau am Telefon antwortet leicht verzögert.
»Tut mir leid, aber Dr. Wasserman ist verschieden.«
»Oh. Wann ist er denn gestorben?«
»Vor mehr als sechs Monaten.«
»Und wer sitzt jetzt in seinem Büro?«
»Niemand, Sir. Sein Projekt wurde für beendet erklärt.«
Klick.
Verblüfft starrt der Teenager das Telefon in seiner Hand an und ist mit einem Mal blass geworden. Nach ein paar Sekunden wirft er den Apparat auf den Tisch, als könnte der ihn beißen. Er stützt den Kopf in die Hände und murmelt: »Hinterlistiger Dreckskerl. Hast ein paar ganz schön clevere Tricks drauf.«
Genau in dem Moment klingelt das Telefon.
Der Teenager betrachtet es und runzelt die Stirn. Es hört nicht auf, seinen schrillen Klingelton von sich zu geben, und vibriert dabei wie eine wütende Hornisse. Der Teenager steht auf und scheint kurz nachzudenken. Dann dreht er sich wortlos um, hebt einen grauen Kapuzenpulli vom Boden auf, zieht ihn über und geht zur Tür hinaus.
***
Aufnahmen einer öffentlichen Überwachungskamera. Schwarz-weiß. Links unten sind die Worte »KAMERAÜBERWACHUNG NEW CROSS« eingeblendet.
Von oben gefilmte Bürgersteige, es wimmelt von Fußgängern. Von unten tritt ein vertraut wirkender rasierter Kopf ins Bild. Die Hände tief in den Taschen vergraben, läuft der Teenager die Straße entlang. Oben an der Ecke bleibt er stehen und blickt verstohlen um sich. Kaum zwei Meter von ihm entfernt fängt plötzlich ein Münzfernsprecher an zu klingeln. Verblüfft steht der Teenager im Strom der Passanten und betrachtet den eindringlich klingelnden Apparat. Dann dreht er sich um und flüchtet sich in einen kleinen Lebensmittelladen.
Sofort springt das Bild zu der Überwachungskamera in dem Laden. Der Teenager nimmt eine Limodose aus dem Regal und stellt sie auf die Theke. Der Kassierer streckt die Hand danach aus, als sein Handy klingelt. Mit um Verzeihung bittendem Lächeln hebt er den Zeigefinger und geht dran.
»Mutti?«, fragt der Kassierer, wartet und runzelt dann die Stirn. »Nein, ich kenne niemanden namens Lurker.«
Der Teenager dreht sich um und geht.
Draußen schwenkt die Kamera zu dem Teenager mit dem kahlrasierten Schädel und zoomt näher an ihn ran. Mit ausdruckslosen grauen Augen blickt er direkt ins Objektiv. Dann zieht er sich seine Kapuze über den Kopf und lehnt sich mit dem Rücken an das buntbesprayte Rolltor eines geschlossenen Ladens. Mit vor der Brust verschränkten Armen und zwischen die Schultern gezogenem Kopf beobachtet er die vorbeiströmenden Passanten und Autos, ebenso wie die Kameras, die überall hängen.
Eine große Frau mit Stöckelschuhen hastet vorüber. Der Teenager zuckt sichtlich zusammen, als unvermittelt laute Popmusik aus ihrer Handtasche schallt. Sie bleibt stehen und kramt ihr Handy hervor. Kaum hält sie sich das Gerät ans Ohr, wird ein paar Meter weiter ein Geschäftsmann ebenfalls von einer unvermittelt anhebenden Melodie zum Stehen gebracht. Er holt sein Mobiltelefon aus der Hosentasche, betrachtet das Display und scheint die darauf abgebildete Nummer zu erkennen.
Dann klingelt ein weiteres Handy. Und noch eins.
Auf der ganzen Straße klingeln plötzlich Handys,
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