Robocalypse: Roman (German Edition)
hat sich offiziell verabschiedet. Das nächste bewohnte Haus liegt eine Meile entfernt, und ich fühle mich mächtig einsam.
Auf meiner Veranda komme ich mir ungefähr so sicher vor wie ein Schokoladen-Donut auf einem Ameisenhügel.
Also verschwende ich keine Zeit. In der Küche mache ich mir ein Lunchpaket: ein Wurstsandwich, ein paar eingelegte Gurken, eine Thermoskanne mit süßem Eistee. Dann gehe ich in die Garage, um mir das alte Crossmotorrad meines Sohnes anzusehen. Es ist eine 350er Honda, auf der seit zwei Jahren niemand mehr gefahren ist. Steht in der Garage und setzt Staub an, seit Paul zur Army gegangen ist. Ist aber nicht so, als würde er da draußen auf sich schießen lassen. Nein, er ist Übersetzer und muss höchstens mal mit Worten kämpfen. Schlauer Junge. Schlauer als sein Vater.
Zum ersten Mal bin ich froh, dass Paul nicht hier ist. Er ist mein einziger Sohn, und wenn ihm was zustößt, habe ich niemanden mehr. Wo er auch sein mag, ich hoffe, er ist bewaffnet. Dass er schießen kann, weiß ich, denn ich hab’s ihm selbst beigebracht.
Dauert ein paar Minuten, bis ich das Motorrad ankriege. Und als es schließlich läuft, gehe ich beinah drauf, weil ich der größten Maschine in meinem Besitz nicht genügend Beachtung geschenkt habe.
Jawohl: Dieser undankbare alte Schweinehund von einem Streifenwagen versucht, mich in meiner eigenen Garage über den Haufen zu fahren, und beinah schafft er’s auch. Endlich lohnen sich die hundert Dollar, die ich für die schöne große Werkzeugkiste aus echtem Edelstahl hingeblättert habe. Richtig gut sieht sie jetzt allerdings nicht mehr aus, mit der Kühlerhaube des zweihundertfünfzig PS starken Streifenwagens im Bauch. Ich stehe mit dem Rücken zur Wand, und zwischen mir und der Stoßstange des verflixten Mörderautos bleibt gerade mal ein halber Meter.
Der Wagen versucht, den Rückwärtsgang einzulegen, und die durchdrehenden Reifen füllen die Garage mit weißem Rauch und dem Geruch von verbranntem Gummi. Ich ziehe meinen Revolver, gehe zur Fahrerseite und ballere ein paar Kugeln in den kleinen Computer im Armaturenbrett.
So, jetzt hab ich also meinen eigenen Streifenwagen erschossen. Wenn das nicht das Seltsamste ist, was ich je erlebt habe.
Ich bin Polizist, habe aber keine Möglichkeit, den Menschen zu helfen. Ich habe das Gefühl, dass der amerikanische Staat, an den ich regelmäßig Steuern entrichte und der mich dafür mit jener Kleinigkeit versorgt, die wir zivilisiertes Leben nennen – dass dieser Staat mächtig Mist gebaut hat und mich jetzt mit meinen Problemen im Stich lässt.
Zum Glück gehöre ich noch einem zweiten Volk und Gemeinwesen an – und zwar einem, das keine steuerlichen Abgaben von mir verlangt. Es verfügt über eine eigene Polizei, ein eigenes Gefängnis, ein eigenes Krankenhaus, einen eigenen Windpark und eigene Kirchen. Außerdem über Forstbeamte, Anwälte, Ingenieure, Bürokraten sowie ein sehr großes Kasino, das ich noch nie besucht habe. Mein zweites Volk ist das Volk der Osage, auch Osage Nation genannt. Es lebt ungefähr zwanzig Meilen von meinem Haus entfernt, an einem Ort namens Gray Horse, dem wahren Zuhause aller Angehörigen dieses Volks.
Will man sein Kind taufen, seine Freundin heiraten oder was auch immer – auf geht’s nach Gray Horse, nach Ko-wah-hos-tsa. Kraft des mir vom Volk der Osage verliehenen Amtes erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau, wie es bei solchen Gelegenheiten heißt. Wenn einem das Blut der Osage durch die Adern fließt, fährt man irgendwann zwangsläufig eine verlassene, gewundene Landstraße entlang, die sich County Road E0320 nennt. Die Regierung der Vereinigten Staaten hat sich diesen Namen ausgedacht und ihn auf den Karten eingetragen, aber die Straße führt zu einem Ort, der ganz allein uns gehört: Gray Horse.
Die Straße ist nicht mal irgendwie markiert. Muss die Straße, die nach Hause führt, ja auch nicht sein.
***
Das Motorrad kreischt wie eine Katze, der jemand auf den Schwanz tritt. Als ich schließlich schlitternd auf der Landstraße zum Stehen komme, kann ich durch meine Jeans den heißgelaufenen Auspuff spüren.
Ich bin da.
Und ich bin nicht der Einzige. Auf der Straße wimmelt es von Menschen. Alles Osage. Viele dunkle Haare, dunkle Augen, breite Nasen. Die Männer sind groß und sehen aus wie Büffel, die man in Jeans und Karohemden gesteckt hat. Die Frauen sind, nun ja, ehrlich gesagt, nicht viel zierlicher, haben halt nur Kleider an. Die
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