Robocalypse: Roman (German Edition)
Flüchtlinge fahren alte, mit Staub überzogene Kombis und Vans. Ein paar sind auf Pferden gekommen. Ein Mitglied der Stammespolizei fährt ein in Tarnfarben lackiertes Quad. Die Leute sehen aus, als hätten sie für einen sehr langen Campingausflug gepackt. Und das ist schlau. Denn ich habe das Gefühl, der Ausflug könnte tatsächlich sehr lang werden.
Purer Instinkt, glaube ich. Wenn man ordentlich eins auf den Deckel kriegt, sieht man zu, dass man schnellstens in sein angestammtes Heim zurückkehrt. Hier kann man seine Wunden lecken und sich sammeln. An diesem Ort schlägt das Herz unseres Volkes. Die Stammesältesten leben das ganze Jahr über hier und kümmern sich um all die leerstehenden Häuser. Jeden Juni jedoch findet i’n-lon-schka in Gray Horse statt, das große Tanzfestival. Dann schafft sich jeder Osage, der kein Krüppel ist (und gar nicht so wenige, die es sind), hierher nach Hause zurück. Im Laufe der Jahre geht einem diese jährliche Wanderung in Fleisch und Blut über. Der Weg nach Hause gräbt sich tief in die persönliche Seelenlandschaft ein.
Natürlich gibt es auch andere Städte, in denen Osage leben, aber Gray Horse ist etwas Besonderes. Als der Stamm den Pfad der Tränen hinter sich brachte und nach Oklahoma kam, erfüllte sich damit eine alte Prophezeiung: dass die Osage in ein neues Land ziehen würden, das mit großen Reichtümern gesegnet sei. Und wenn man an all das Erdöl denkt, dass sich unter dem Gebiet verbirgt, und an unseren nicht übertragbaren Anspruch auf den Abbau sämtlicher Bodenschätze, dann hätte die Prophezeiung gar nicht genauer zutreffen können.
Dieses Land war schon immer Indianerland. Unsere Leute haben auf den großen Ebenen hier wilde Hunde gezähmt. In nebelumwobener Vorzeit haben Menschen mit genauso dunklen Haaren und Augen wie die auf dieser Straße hier draußen Grabhügel aufgeschüttet, die kaum weniger hoch waren als die Pyramiden. Wir haben uns um dieses Land gekümmert, und nach einer langen Zeit der Entbehrung und Tränen kümmert es sich jetzt um uns.
Kann man da nicht verstehen, dass wir vom Stamm der Osage uns manchmal ein bisschen für was Besseres halten?
Gray Horse liegt auf dem Gipfel eines kleinen Hügels, umgeben von den steilen Schluchten des Gray Horse Creek. Die Landstraße führt nah an den Hügel heran, aber um zur eigentlichen Stadt zu gelangen, muss man einen kleinen Pfad hochsteigen. Auf einer Ebene im Westen stehen große Windräder, die der Stadt Strom liefern und sogar oft so viel davon produzieren, dass ein Teil weiterverkauft werden kann. Im Großen und Ganzen sieht die Stadt nicht nach viel aus: ein Fleckchen auf einem stoppeligen Hügel, der vor langer Zeit zum Aufführungsort der heiligen Tänze der Osage auserkoren wurde. Wie ein Tablett, das wir den Göttern unter die Nase halten, damit sie aufpassen können, dass wir bei unseren Zeremonien auch alles richtig machen.
Es heißt, wir führen i’n-lon-schka bereits seit über hundert Jahren hier auf, um die neue Wachstumszeit des Frühlings einzuleiten. Aber ich habe da meine Zweifel.
Die Stammesältesten, die Gray Horse ausgewählt haben, waren harte Männer, die die Ausrottung ihres Volks miterlebt hatten. Sie hatten überlebt und wussten, was fürs Überleben wichtig ist. Sie hatten mit ansehen müssen, wie das Blut ihres Stammes die Erde tränkte und wie Unzählige ihrer Leute niedergemetzelt wurden. Kann es da Zufall sein, dass Gray Horse wie eine Burg auf einem Hügel liegt, der nur wenige natürliche Zugänge hat, aber dafür ein wunderbar freies Schussfeld und reichlich frisches Trinkwasser bietet? Ich kann mich natürlich auch irren. Aber die Lage ist schon ziemlich ideal, dort oben in der Mitte eines weiten, gut übersichtlichen Nirgendwo.
Was mich zusätzlich in meinen Vermutungen bestärkt, ist, dass es sich beim i’n-lon-schka streng genommen gar nicht um einen Fruchtbarkeitstanz handelt. Sonst würde er nicht stets durch die ältesten männlichen Mitglieder einer jeden Familie begonnen. Nach uns stimmen gleich die Frauen und Kinder ein, sicher, aber mit dem Tanzen fangen wir an. Und wenn den ältesten Söhnen der Familien diese Ehre gebührt, dann kann es dafür eigentlich nur einen Grund geben: Wir sind die Krieger des Stammes.
Der i’n-lon-schka ist ein Kriegstanz. Das war er schon immer.
***
Während die Sonne rasch sinkt, kraxle ich den steilen Pfad hinauf, der zur eigentlichen Stadt führt. Ich überhole Familien, die Zelte, Ausrüstung und
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