Robocalypse: Roman (German Edition)
Stunde null lebte der größte Teil der Menschheit in Städten. Stark industrialisierte Regionen litten zwangsläufig am stärksten unter den unmittelbaren Folgen der Katastrophe. In einem besonderen Fall jedoch gelang es einem findigen Überlebenden aus Japan, aus der Not eine Tugend zu machen.
Die Aufzeichnungen von zahlreichen Industrierobotern, Überwachungskameras und Abhörwanzen bestätigen die hier wiedergegebenen Ereignisse, welche Takeo Nomura in großer Ausführlichkeit Mitgliedern der Adachi-Bürgerwehr geschildert hat. Von Anfang bis Ende des Neuen Krieges scheint Mr. Nomura nur von freundlich gesinnten Robotern umgeben gewesen zu sein.
Cormac Wallace MIL #GHA 217
A uf meinem Monitor sind die Aufnahmen einer Überwachungskamera zu sehen. In der Ecke des Bildschirms steht: »Tokio, Adachi-Bezirk«.
Die Kamera ist in großer Höhe angebracht und auf eine leere Straße gerichtet. Die Straße ist schmal, gepflastert und sauber. Sie wird von kleinen, adretten Häuschen gesäumt. Alle haben Zäune, entweder aus Bambus, Beton oder geschmiedetem Eisen. Die Vorgärten jedoch sind winzig, es gibt keine Bürgersteige und – was noch wichtiger ist – keinen Platz zum Parken.
Ein beigefarbener Kasten kommt diese schmale Gasse entlanggeholpert. Seine kleinen Plastikräder sind eigentlich nicht dafür gemacht, draußen auf so schwierigem Untergrund zu fahren. Die Maschine ist mit Rußschlieren bedeckt. Auf der Oberseite ist ein primitiver Arm angebracht, den ich aus Aluminiumrohren gebaut habe und der momentan zusammengefaltet ist wie ein Flügel. Auf der Vorderseite leuchtet knapp unter der gesprungenen Kameralinse grün und gesund ein kleines Lämpchen.
Ich nenne diese Maschine Yubin-kun.
Dieser kleine Kasten ist mein treuester Verbündeter. Er hat für mich bereits viele Aufträge ausgeführt. Dank mir kann Yubin-kun klar denken, anders als die teuflischen Maschinen, welche die Stadt unsicher machen – die Akuma.
Yubin-kun erreicht eine Kreuzung mit einem ausgeblichenen Zebrastreifen. Entschlossen dreht er sich um neunzig Grad nach rechts und fährt weiter den Block hinab. Kurz bevor er aus dem Bild verschwindet, schiebe ich meine Brille auf die Stirn und betrachte mit zusammengekniffenen Augen den Monitor. Auf dem Rücken dieses vielbeschäftigten Apparates steht etwas, erkenne ich: ein Teller.
Und auf dem Teller steht eine Dose Maissuppe. Meine Suppe. Ich gebe einen glücklichen Seufzer von mir.
Dann drücke ich auf einen Knopf, und das Bild wechselt.
Jetzt ist die hochaufgelöste Farbaufnahme eines Fabrikgebäudes zu sehen. Auf einem großen Schild an der Fassade der Schriftzug der Firma Lilliput.
Das ist meine Festung.
Die niedrigen Betonwände meiner Festung sehen aus wie mit Pockennarben übersät. In den mit Gitterstäben gesicherten Fenstern wurde das herausgesprengte Glas durch Metallplatten ersetzt, die mit dem Stahlgerüst des Gebäudes verschweißt sind. In der Mitte der Fassade ist ein großes Rolltor eingelassen – ein modernes Fallgitter.
Das Tor ist ganz heruntergelassen. Obwohl es draußen still ist, weiß ich, dass dort der Tod in den grauen Schatten lauert.
Akuma – die bösen Maschinen – könnten überall lauern.
Vorerst bewegt sich draußen nichts. Nur die länger werdenden Abendschatten kriechen langsam über den Boden. Dunkel sickern sie in die Wunden, die in den Mauern meiner Festung klaffen, und in den Graben, der die Fabrik umgibt. Der Graben ist so tief, dass ein erwachsener Mann nicht darin stehen könnte, und auch zum Drüberspringen ist er zu breit. Er ist mit säurehaltigem Wasser sowie mit rostigem Schrott und Unrat gefüllt.
Das ist mein Verteidigungsgraben. Er schützt meine Festung vor den kleineren Akuma, die uns täglich angreifen. Es ist ein guter Verteidigungsgraben, der will, dass wir sicher sind. Allerdings wäre kein Graben breit und tief genug, um die größeren Akuma aufzuhalten.
Neben der Fabrik stehen die Reste eines zerstörten gelben Hauses. In den Häusern ist niemand mehr sicher. Es gibt zu viele Akuma in dieser Stadt. Mit ihrem vergifteten Verstand haben sie beschlossen, sämtliche Einwohner zu töten. Die Akuma haben die fügsame Bevölkerung in ordentlichen Kolonnen davongeführt – auf einen Marsch ohne Wiederkehr. Die zurückgelassenen Häuser sind aus Holz und nicht sehr widerstandsfähig.
Vor zwei Wochen wäre ich in dem gelben Haus fast ums Leben gekommen. Teile der gelben Fassadenverkleidung ragen immer noch aus dem
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