Robocalypse: Roman (German Edition)
Bäume nicht auffallen. Das ist ihr blinder Fleck. Eine Gottesanbeterin kann gut künstliche Sachen wie Wörter und Zeichnungen erkennen – sogar so ’nen Mist wie Smiley-Gesichter. Ungetarnte Stolperdrähte werden immer entdeckt. Sie sind einfach zu gerade. Schreibt man auf die Straße, wie man zu einer sicheren Zuflucht gelangt, dann ist es keine mehr. Aber ein Haufen Schutt wird nicht bemerkt. Und ein paar der Größe nach geordnete Steinhaufen auch nicht.
Ich winde mich aus dem Spalt und bin bei dem Typen, bevor er überhaupt hochschaut. »He«, flüstere ich und berühre ihn leicht am Ellbogen.
Er blickt überrascht zu mir auf. Er ist ein junger Latino, ungefähr Mitte zwanzig. Ich kann sehen, dass er geweint hat. Wer weiß, was er auf dem Weg hierher alles erlebt hat.
»Ist schon gut, Kumpel«, beruhige ich ihn. »Gleich bist du in Sicherheit. Komm mit.«
Er nickt, sagt jedoch nichts. Dann stützt er sich an der Wand ab und steht auf. Einen Arm hat er in ein schmutziges Handtuch gewickelt, und er hält ihn mit der anderen Hand. Wenn er Angst hat, den Arm zu zeigen, muss er ziemlich übel zugerichtet sein.
»Deinen Arm wird sich bald jemand ansehen, Freund.«
Er zuckt leicht zusammen, als ich das sage. Ups, ’tschuldigung. Seltsam, wie sich die Leute manchmal für ihre Verletzungen schämen. Als könnten sie was dafür, dass ein Auge, eine Hand oder ein Fuß nicht mehr richtig funktioniert. Dabei ist es natürlich noch viel peinlicher, tot zu sein.
Ich führe ihn zurück zu dem eingestürzten Gebäude auf der anderen Straßenseite. Sind wir da erst mal drin, müssen wir vor der Gottesanbeterin keine Angst mehr haben. Meine Leute verstecken sich hauptsächlich in den U-Bahn-Tunneln; die Eingänge haben wir verbarrikadiert. Wir werden einfach von einem Gebäude zum anderen schleichen, bis wir zu Hause sind.
»Wie heißt du, Mann?«, frage ich.
Der Typ antwortet nicht, sondern lässt nur den Kopf hängen.
»Na gut. Folge mir einfach.«
Der Junge humpelt mir durch das eingestürzte Gebäude hinterher. Gemeinsam arbeiten wir uns von da zum nächsten vor, klettern über Hügel aus Sprengschutt und kriechen durch halb eingefallene Wände. Als wir weit genug weg sind, steuere ich eine sichere Straße an. Die Stille zwischen uns wird immer spürbarer.
Als ich die leere Straße entlanglaufe, kriege ich ein komisches Gefühl und begreife, dass mir der tote Blick des Jungen Angst macht, der da schweigend hinter mir herschlurft.
Wie viel Veränderung kann ein Mensch ertragen, bevor alles seine Bedeutung verliert? Man kann nicht nur um des Lebens willen leben. Die Menschen brauchen einen Sinn im Leben genauso wie die Luft zum Atmen.
Gott sei Dank ist mir Dawn geblieben.
Ich denke gerade daran, wie sie mich mit ihren haselnussbraunen Augen ansieht, als mir am Ende der Straße ein schräg stehender, graugrüner Telefonmast auffällt. Erst als sich der Mast in der Mitte beugt und sich zu bewegen anfängt, kapiere ich, dass es sich in Wirklichkeit um ein Bein handelt. Wenn wir hier draußen bleiben, sind wir innerhalb der nächsten dreißig Sekunden tot.
»Schnell, rein da!«, zische ich und schiebe den Jungen auf ein zerbrochenes Fenster zu.
Auf vier geknickten Beinen kommt eine nach vorne gebückte Gottesanbeterin auf die Straße getrippelt. Ihr gesichtsloser, spitz zulaufender Kopf dreht sich schnell hin und her und hält dann inne. Die langen Fühler beben. Die Maschine macht einen Satz nach vorne und kommt auf uns zugaloppiert. Ihre Füße durchschneiden Schutt und Asphalt wie Ruder das Wasser. Die mit unzähligen glänzenden Zacken gespickten Klauen hat sie zum Zuschlagen bereit vor die Brust gehoben.
Der Junge starrt das nahende Monster ausdruckslos an.
Ich packe ihn und schiebe ihn durch das Fenster, hechte anschließend hinterher. Wir springen auf die Füße und hetzen über schimmligen Teppichboden. Gleich darauf fällt ein Schatten auf das helle Rechteck hinter uns. Eine Klaue schnellt durch das Fenster und reißt das darunterliegende Stück Wand heraus. Sofort folgt ein weiterer Sensenarm. Vor und zurück, vor und zurück. Wie ein einschlagender Tornado.
Doch wir haben Glück und befinden uns in einem sicheren Gebäude. Mir ist sofort aufgefallen, wie fachmännisch es ausgehöhlt wurde. Die Fassade ist demoliert, aber innen kommt man leicht hindurch. Wir in New York hier wissen, wie’s geht. Ich steuere den Jungen auf einen Haufen Betonziegel und ein Loch in der Wand zu, das in das angrenzende
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