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Robur der Sieger

Robur der Sieger

Titel: Robur der Sieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Rumpf. Er zählte jetzt gerade
    21 Jahre, war also nicht einmal mehr zur Zeit seiner Geburt
    Sklave gewesen, taugte deshalb aber nicht viel mehr, als ein
    solcher. Ein Grimassenschneider, Leckermaul und Faulpelz,
    aber vor allem ein Prahlhans sondergleichen, stand er seit
    3 Jahren bei Onkel Prudent im Dienst. Hundertmal war er
    schon nahe daran gewesen, vor die Tür gesetzt zu werden,
    doch hatte man ihn behalten – um nicht aus dem Regen
    in die Traufe zu kommen. Und doch lief er hier bei einem
    Herrn, der jeden Augenblick zu den tollkühnsten Unter-
    nehmungen bereit war, so oft Gefahr, in Lagen zu kommen,
    in denen sein Hasenherz auf die härtesten Proben gestellt
    werden mußte. Dafür fand er auch gewisse Entschuldigun-
    gen. Niemand machte ihm besondere Vorwürfe wegen sei-
    ner Leckerhaftigkeit und noch weniger wegen seiner Träg-
    heit. Ach, armer Frycollin, hättest du in der Zukunft lesen
    können!
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    Warum war Frycollin auch nicht in Boston im Dienst ei-
    ner gewissen Familie Sneffel geblieben, die im Begriff, eine
    Reise nach der Schweiz anzutreten, darauf verzichtet hatte,
    weil dort Schneelawinen auftraten? War für Frycollin nicht
    dieses Haus das geeignete, aber nicht das des Onkel Pru-
    dent, wo das kühne Wagen in Permanenz erklärt war?
    Nun, er befand sich einmal hier und sein Herr hatte
    sich mit der Zeit an seine Fehler gewöhnt, übrigens besaß
    er doch eine gute Eigenschaft. Obwohl Neger von Abstam-
    mung, sprach er doch nicht so, wie diese es gewöhnlich
    tun – und das hat einigen Wert, denn nichts ist so wider-
    lich, wie der abscheuliche Jargon, in dem die Anwendung
    des besitzanzeigenden Fürworts und des Infinitivs bis zum
    Mißbrauch getrieben wird.
    Es steht also fest, daß der Diener Frycollin ein feiger
    Prahlhans war, und zwar nannte man ihn einen ›Prahlhans
    gleich dem Mond‹.
    Es erscheint übrigens nur gerecht, gegen diesen für die
    blonde Phöbe beleidigenden Vergleich Einspruch zu er-
    heben; warum sollte man die sanfte Selene, die keusche
    Schwester des strahlenden Apollo, der Prahlerei zeihen, das
    Gestirn, das, so lange die Welt steht, stets der Erde gerade
    ins Gesicht geblickt hat, ohne ihr jemals den Rücken zuzu-
    wenden?
    Doch wie dem auch sei, zu dieser Stunde – es war jetzt
    bald Mitternacht – begann die ›blasse, verdächtige Scheibe‹
    schon im Westen hinter den hohen Baumkronen des Parks
    zu verschwinden. Ihre durch das Gezweig hereindringen-
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    den Strahlen erhellten nur noch da und dort den Erdboden,
    so daß es unter den Bäumen noch etwas finsterer war.
    Das gestattete Frycollin, einen forschenden Blick umher-
    schweifen zu lassen.
    »Brr«, machte er, »die Schurken sind wahrlich noch da!
    Offenbar kommen sie näher heran.«
    Da hielt es ihn nicht mehr und er schritt auf seinen
    Herrn zu.
    »Master Onkel!« redete er ihn an.
    So nannte er ihn gewöhnlich und so wollte der Vorsit-
    zende des Weldon-Instituts auch genannt werden.
    Eben jetzt war der Streit der beiden Rivalen auf das hit-
    zigste entbrannt; und da sie einander spazierenführten,
    wurde Frycollin sehr grob angewiesen, diesen Spaziergang
    mitzumachen, wie es seine Pflicht und Schuldigkeit sei.
    Und während die beiden ohne Unterbrechung weiter-
    stritten, geriet Onkel Prudent immer weiter hinaus nach
    den verödeten Grasgründen des Fairmont Parks und ent-
    fernte sich immer mehr vom Schuylkill und der Brücke, die
    sie zur Rückkehr nach der Stadt unbedingt überschreiten
    mußten.
    Alle drei befanden sich jetzt inmitten einer Gruppe ho-
    her Bäume, in deren Gipfeln noch das letzte Licht des Monds
    spielte. An deren Saum schloß sich eine größere Lichtung
    an, ein weiter, ovaler Wiesenplan, wie geschaffen für Wett-
    rennen. Hier hätte nicht die kleinste Unebenheit des Bo-
    dens den Galopp eines Pferdes gestört und kein Busch oder

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    Baum die Blicke der Zuschauer bei der Verfolgung der meh-
    rere englische Meilen langen Bahnlinie gehindert.
    Und doch, wären Onkel Prudent und Phil Evans in ihre
    Streitigkeiten nicht gar so sehr vertieft gewesen, hätten sie
    sich nur einigermaßen aufmerksam umgesehen, so hätte ih-
    nen nicht entgehen können, daß der weite freie Platz heute
    einen ganz anderen Anblick darbot. War das ein Zauber-
    spuk, der hier seit gestern entstanden war? Wahrlich, man
    hätte das Ganze mit seinen vielen Windmühlen für ein Zau-
    berwerk erklären können, wenn man die Mühlenflügel sah,
    die, jetzt unbeweglich,

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