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Robur der Sieger

Robur der Sieger

Titel: Robur der Sieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ge-
    sehen zu haben.
    Die Fahrgeschwindigkeit war seit dem vorigen Tag nicht
    verändert. Bei der Richtung des eben wehenden Windes
    wurde sie nicht lästig, und da das Thermometer sich nur
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    um einen Grad bei der Erhebung um 170 Meter senkte, so
    war auch die Temperatur erträglich. In Erwartung des Inge-
    nieurs gingen Onkel Prudent und Phil Evans nachdenklich
    hin und her unter der Takelage der Schrauben – wenn der
    Ausdruck erlaubt ist –, die immerhin eine so schnelle Dreh-
    bewegung einhielten, daß die Strahlen ihrer Flügel zu einer
    halbdurchscheinenden Scheibe verschmolzen.
    In weniger als 2 Stunden kamen sie auf diese Weise längs
    seiner Nordgrenze über den Staat Illinois hinweg, und da-
    bei über den Vater der Gewässer, den Mississippi, dessen
    zweistöckige Dampfer nicht größer als gewöhnliche Kähne
    erschienen. Dann wendete sich die ›Albatros‹ nach Iowa,
    nachdem Iowa City gegen 11 Uhr vormittags in Sicht ge-
    kommen war.
    Einzelne Hügelketten, die ›Bluffs‹, schlängelten sich von
    Süden nach Nordwesten durch dieses Gebiet. Ihre mäßige
    Höhe machte keinen besonderen Aufstieg des Aeronefs nö-
    tig. Diese Bluffs mußten auch bald noch niedriger werden,
    um nachher den weiten Ebenen von Iowa Platz zu machen,
    die sich über dessen ganzen nördlichen Teil, wie über Ne-
    braska ausdehnen – ungeheure Prärien, die bis zum Fuß der
    Rocky Mountains heranreichen. Da und dort glänzten zahl-
    reiche Rios, Zuflüsse und Nebenflüsse des Missouri. An ih-
    ren Ufern lagen Städte und Dörfer, die jedoch immer selte-
    ner wurden, je nachdem die ›Albatros‹ schneller nach dem
    Far-West über sie hinwegglitt.
    Im Laufe des Tages ereignete sich nichts Besonderes.
    Onkel Prudent und Phil Evans blieben sich gänzlich selbst
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    überlassen. Kaum bemerkten sie einmal Frycollin, der auf
    dem Verdeck ausgestreckt lag und die Augen geschlossen
    hielt, um lieber gar nichts zu sehen. Übrigens litt er nicht
    etwa an Schwindelanfällen, wie man hätte glauben kön-
    nen. Wegen Mangels an Vergleichsobjekten hätte sich die-
    ser Schwindel überhaupt nicht in derselben Weise äußern
    können, wie etwa auf dem Dach eines hohen Gebäudes; der
    Abgrund verliert seine Anziehungskraft, wenn man in der
    Gondel eines Ballons oder auf dem Deck eines Aeronefs
    über ihm schwebt, oder vielmehr unter dem Aeronauten
    gähnt gar kein Abgrund, sondern der Horizont allein erhebt
    sich an allen Seiten und umringt ihn.
    Um 2 Uhr glitt die ›Albatros‹ über Omaha an der Grenze
    von Nebraska hin, über Omaha City, den wirklichen Kopf
    der Pacific-Bahn, jenes 1.500 Lieues langen Schienen-
    strangs, der New York und San Francisco verbindet. Einen
    Augenblick lang sah man die gelblichen Fluten des Mis-
    souri, nachher die Stadt mit ihren Holz- und Steinhäusern,
    inmitten dieses reichen Beckens gelegen gleich dem Schloß
    eines Gürtels, der Nordamerika in der Taille umspannt.
    Zweifellos mußten, während die Passagiere des Aeronefs
    alle diese Einzelheiten betrachteten, auch die Bewohner von
    Omaha den seltsamen Apparat wahrgenommen haben.
    Ihr Erstaunen aber, ihn in den Lüften hinschweben zu
    sehen, konnte gewiß nicht größer sein, als das des Vorsit-
    zenden und des Schriftführers des Weldon-Instituts, sich an
    Bord desselben zu befinden.
    Jedenfalls lag hier eine Tatsache vor, die durch die Jour-
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    nale der Union besprochen wurde; eben diese lieferte eine
    Erklärung des Phänomens, mit dem sich seit einiger Zeit die
    ganze Welt beschäftigte.
    Eine Stunde später war die ›Albatros‹ schon über Omaha
    hinweg. Die ›Albatros‹ steuerte jetzt konstant nach Westen,
    indem sie sich vom Platte River entfernte, dessen Tal die
    Pacific Railway durch die Prärie folgt. Den Onkel Prudent
    und Phil Evans konnte diese Wahrnehmung gerade nicht
    befriedigen.
    »Die Sache wird ernsthaft mit diesem sinnlosen Projekt,
    uns zu den Antipoden zu bringen«, sagte der eine.
    »Und noch dazu wider unseren Willen!« bemerkte der
    andere. »O, dieser Robur soll sich nur in acht nehmen, ich
    bin nicht der Mann dazu, mit mir spielen zu lassen!«
    »Ich auch nicht!« versicherte Phil Evans. »Doch, folgen
    Sie meinem Rat, Onkel Prudent, versuchen Sie sich zu mä-
    ßigen ...«
    »Mich mäßigen?!«
    »Und beherrschen Sie Ihre Wut bis zu dem Augenblick,
    wo es an der Zeit ist, sie ausbrechen zu lassen.«
    Gegen 5 Uhr und nach Überschreitung der mit Tannen
    und Zedern bedeckten schwarzen Berge

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