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Robur der Sieger

Robur der Sieger

Titel: Robur der Sieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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flog die ›Albatros‹
    über jenen Gebieten hin, die man mit Recht das ›schlimme
    Land‹ genannt hat – ein Chaos von ockerfarbigen Hügeln,
    gleichsam von Bergstücken, die der Schöpfer hatte auf die
    Erde fallen lassen und die dabei in Trümmer gegangen wa-
    ren. Von fern gesehen, nahmen diese Blöcke die phantas-
    tischsten Formen an. Da und dort inmitten dieser ungeheu-
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    ren Ansammlung von Bruchstücken erblickte man Ruinen
    von mittelalterlichen Städten mit Forts, Warttürmen, Lauf-
    gräben und Schanzen. Heutzutage bildet dieses ›schlimme
    oder böse Land‹ aber nichts als ein gewaltiges Beinhaus, in
    dem die Reste von Pachydermen, Chelonien und der Sage
    nach sogar von fossilen Menschen bleichen, die durch eine
    unbekannte Erdrevolution in grauer Vorzeit hierher gewor-
    fen wurden.
    Mit einbrechendem Abend war schon das große Becken
    des Platte River übersegelt. Jetzt dehnte sich vor der ›Alba-
    tros‹ eine weite Ebene bis zu dem, durch ihren hohen Stand-
    punkt sehr erweiterten Horizont aus.
    Während der Nacht waren es nicht mehr die scharfen
    Pfiffe der Lokomotive oder die heulenden Töne von Dampf-
    booten, welche die Ruhe des gestirnten Firmaments störten.
    Lang anhaltendes Grunzen und Blöken drang manchmal
    bis zu dem, übrigens jetzt der Erde näheren Aeronef hinauf.
    Es stammte von den Bisonherden, die auf der Suche nach
    Wasserläufen und Weideland durch die Prärie trotteten.
    Und wenn jene schwiegen, dann erzeugte das Rascheln des
    Grases unter ihren Hufen ein dumpfes Geräusch, ähnlich
    dem Rauschen einer Überschwemmung und sehr verschie-
    den von dem Schwirren und Sausen der Schrauben.
    Von Zeit zu Zeit ließ sich wohl auch das Heulen von
    Wölfen, das Gebell und Geschrei von Füchsen und Wildkat-
    zen hören oder das scharfe Bellen von Kojoten, jenes canis
    latrans, dessen Name sich schon durch die gellenden Töne
    des Tieres rechtfertigt.
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    Daneben verbreitete sich ein durchdringender Duft von
    Minze, Salbei und Absinth, vermischt mit dem kräftigen
    Harzgeruch von Koniferen, in der reinen Nachtluft.
    Endlich hörte man, um alle vom Erdboden kommenden
    Geräusche zu erwähnen, auch eine Art recht unheimlichen
    Bellens, das aber nicht von den Kojoten herrührte; das war
    der Schrei einer Rothaut, den kein Pionier des fernen Wes-
    tens mit dem Geschrei eines Raubtiers verwechseln könnte.
    Am 15. Juni verließ Phil Evans gegen 5 Uhr morgens
    seine Kabine. Vielleicht sollte er an diesem Tag den Ingeni-
    eur Robur endlich wiedersehen.
    Begierig, zu erfahren, warum jener sich am vergangenen
    Tag gar nicht gezeigt haben möge, wandte er sich an den
    Obersteuermann Tom Turner.
    Tom Turner, von englischer Herkunft und etwa 45 Jahre
    alt, breit in der Brust, untersetzt von Gestalt und mit Kno-
    chen von Eisen, hatte einen jener charakteristischen Köpfe à
    la Hogarth, wie sie dieser Maler der angelsächsischen Häß-
    lichkeiten aus seinem Pinsel hervorgezaubert hat. Wer die
    Tafel IV von ›Harlot’s Progress‹ genauer betrachtet, der wird
    darauf den Kopf Tom Turners auf den Schultern des Ge-
    fängniswärters wiederfinden und wird erkennen, daß des-
    sen Physiognomie nicht eben viel Ermutigendes hat.
    »Werden wir heute Ingenieur Robur sehen?« fragte Phil
    Evans.
    »Weiß nicht«, antwortete Tom Turner.
    »Ich frage Sie nicht, ob er etwa weggegangen ist.«
    »Vielleicht.«
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    »Auch nicht, wann er zurückkehren könnte.«
    »Vermutlich, wenn er mit seiner Kursbestimmung fer-
    tig ist.«
    Hiermit verschwand Tom Turner schon wieder in sei-
    nem Ruff.
    Phil Evans mußte sich wohl oder übel mit dieser Ant-
    wort begnügen, die um so weniger beruhigend erschien, als
    eine fortgesetzte Beobachtung des Kompasses ihn lehrte,
    daß die ›Albatros‹ noch immer nach Südwesten weitersteu-
    erte. Welcher Unterschied aber zwischen dem seit der Nacht
    verlassenen Gebiet des schlimmen Landes und der Land-
    schaft, die sich jetzt unten auf der Erde entrollte!
    Nachdem der Aeronef von Omaha aus 1.000 Kilometer
    zurückgelegt hatte, befand er sich über einer Gegend, die
    Phil Evans aus dem Grund nicht zu erkennen vermochte,
    weil er sie vorher noch niemals besucht hatte. Einige Forts,
    mit dem Zweck, die Indianer im Schach zu halten, bekrön-
    ten die Bluffs mit ihren geometrischen Linien, die mehr aus
    Palisaden als aus Mauerwerk bestanden; Dörfer gab es nur
    wenige und ebenso wenig Bewohner in diesem von dem
    goldführenden, einige Grade südlicher

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