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Robur der Sieger

Robur der Sieger

Titel: Robur der Sieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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des Zugs die merkwürdige Erscheinung des
    Luftschiffs begrüßten.
    Inzwischen waren drei bis vier Mann vom Aeronef auf
    dem Verdeck erschienen und einer von ihnen ließ – wie es
    Seeleute zu tun pflegen, wenn sie ein langsamer fahrendes
    Schiff überholen – nach dem Zug ein Stück Tau hinab – ein
    ironisches Angebot, ihn ins Schlepptau zu nehmen.
    Dann nahm die ›Albatros‹ sofort ihre gewöhnliche Fahrt
    wieder auf und nach einer halben Stunde hatte sie jenen
    Expreßzug, dessen letzte Dampfwölkchen bald aus dem Ge-
    sichtskreis verschwanden, schon weit hinter sich gelassen.
    Gegen ein Uhr mittags wurde eine sehr große Scheibe

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    sichtbar, welche die Sonnenstrahlen gleich einem ungeheu-
    ren Reflektor zurückwarf.
    »Das muß die Hauptstadt der Mormonen, Salt Lake City
    sein!« sagte Onkel Prudent.
    In der Tat war es die große Salzsee-Stadt und jene konvexe
    Scheibe war das Dach des Tabernakels, das bequem 10.000
    Heilige aufnehmen kann. Wie ein erhabener Spiegel zer-
    streute er die Strahlen der Sonne nach allen Richtungen hin.
    Hier dehnte sich die große Stadt aus am Fuß der Wasatsh-
    Berge, die bis zur halben Höhe mit Zedern und Fichten be-
    deckt sind, und am Ufer jenes Jordan, der die Gewässer von
    Utah in den großen Salzsee ergießt. Unter dem Aeronef
    breitete sich das Damebrett aus, das die meisten amerika-
    nischen Städte bilden – hier ein Damebrett mit »mehr Da-
    men als Feldern«, da die Polygamie bei den Mormonen in
    so hoher Blüte steht. Die Landschaft im Umkreis zeigte sich
    jedoch gut bestellt und kultiviert, auch reich an Spinnfaser-
    pflanzen, während sich Schafherden von mehr als tausend
    Köpfen vielfach umhertummelten.
    Aber das Ganze verblaßte wie ein Schatten, und die ›Al-
    batros‹ flog jetzt nach Südwest mit erhöhter Geschwindig-
    keit, die ziemlich fühlbar wurde, weil sie die des Windes
    übertraf.
    Bald darauf schwebte der Aeronef über dem Staat Nevada
    und seinen silberführenden Gebieten, die nur die Sierra von
    den goldführenden Ländereien Kaliforniens trennt.
    »Wir können auf jeden Fall erwarten, San Francisco noch
    vor dem Abend zu sehen«, sagte Phil Evans.
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    »Und dann?« antwortete Onkel Prudent.
    Es war jetzt um 6 Uhr nachmittags, als die Sierra Ne-
    vada durch denselben Einschnitt von Truckie überschrit-
    ten wurde, der auch der Bahn als Bergpaß dient. Von hier
    aus hatte man nur noch 300 Kilometer zurückzulegen, um,
    wenn nicht San Francisco, so doch mindestens Sacramento,
    die Hauptstadt von Kalifornien, zu erreichen.
    Die der ›Albatros‹ jetzt verliehene Geschwindigkeit war
    so groß, daß noch vor 8 Uhr die Kuppel des Capitols am
    westlichen Horizont auftauchte, nur um bald wieder am
    entgegengesetzten zu verschwinden.
    Eben jetzt zeigte sich Robur auf dem Verdeck. Die bei-
    den Kollegen gingen auf ihn zu.
    »Ingenieur Robur«, begann Onkel Prudent, »wir befin-
    den uns nun an den Grenzen Amerikas. Wir meinen, dieser
    Scherz könnte nun sein Ende finden.«
    »Ich scherze nie«, antwortete Robur.
    Er gab ein Zeichen; die ›Albatros‹ senkte sich schnell ab-
    wärts, doch gleichzeitig nahm sie eine solche Geschwindig-
    keit an, daß sich alle in die Ruffs flüchten mußten.
    Kaum hatte sich die Tür der Kabine hinter den beiden
    Kollegen geschlossen, als Onkel Prudent rief:
    »Nur noch etwas mehr und ich erwürge ihn!«
    »Wir müssen versuchen zu fliehen«, riet Phil Evans.
    »Ja ... koste es, was es wolle!« Da klang ein langes Ge-
    murmel bis zu ihnen herein. Das war das Grollen des Mee-
    res, das gegen die Küstenfelsen brandete. Es war der Pazifi-
    sche Ozean.
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    9. KAPITEL
    Worin die ›Albatros‹ fast 10.000 Kilometer zurücklegt
    und das mit einem merkwürdigen Sprung endet
    Onkel Prudent und Phil Evans waren fest entschlossen, zu
    fliehen. Hätten sie es nur zu dreien mit den acht, allerdings
    sehr kräftigen Männern zu tun gehabt, welche die Besat-
    zung des Aeronefs bildeten, so würden sie den Kampf viel-
    leicht gewagt haben. Ein kühner Handstreich hätte sie zu
    Herren an Bord gemacht und ihnen die Möglichkeit ge-
    geben, an einem beliebigen Punkt der Vereinigten Staaten
    niederzugehen. Zu Zweien aber – denn Frycollin konnte ja
    nur als verschwindende Größe gezählt werden – war da-
    ran nicht wohl zu denken; da jede Gewaltanwendung also
    ausgeschlossen blieb, mußten sie, sobald die ›Albatros‹ ein-
    mal zur Erde hinabging, zur List ihre Zuflucht nehmen.

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