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Robur der Sieger

Robur der Sieger

Titel: Robur der Sieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Das
    bemühte sich auch Phil Evans seinem wutschnaubenden
    Kollegen beizubringen, da er von diesem immer noch eine
    gewalttätige Übereilung fürchtete, die ihre Lage nur ver-
    schlimmern konnte.
    Jedenfalls war jetzt kein günstiger Augenblick. Der Aero-
    nef glitt in schnellster Gangart eben über den Nordpazifi-
    schen Ozean. Schon am nächsten Morgen, dem des 16. Juni,
    sah man nichts von der Küste, und da diese von der Insel
    Vancouver bis zur Gruppe der Aleuten – das ist der frühe-
    ren russischen Besitzung in Amerika, die 1867 an die Ver-
    einigten Staaten abgetreten wurde – in einem großen Bo-
    gen verläuft, so hatte es den Anschein, als ob die ›Albatros‹
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    letztere an dem vorspringendsten Bogenteil kreuzen sollte,
    wenigstens wenn die jetzt eingehaltene Fahrtrichtung nicht
    verändert wurde.
    Wie lang erschienen die Nächte jetzt den beiden Kolle-
    gen! Sie beeilten sich auch jeden Morgen, ihre Kabine zu
    verlassen. Als sie heute nach dem Deck kamen, war der Ho-
    rizont im Osten schon vollständig hell. Man näherte sich ja
    der Sommersonnenwende, dem längsten Tag auf der nörd-
    lichen Halbkugel, an dem es unter dem 60. Breitengrad ei-
    gentlich kaum Nacht wird.
    Der Ingenieur Robur dagegen schien – ob aus Gewohn-
    heit oder mit Absicht – keine besondere Eile zu haben, sei-
    nen Ruff zu verlassen; und als das heute endlich geschah,
    begnügte er sich, seine beiden Gäste zu begrüßen, als er auf
    dem Heck des Aeronef ihren Weg kreuzte.
    Inzwischen hatte sich auch Frycollin mit vor Schlaflosig-
    keit geröteten Augen, glanzlosem Blick und schlotternden
    Beinen aus seiner Kabine gewagt. Er ging dahin wie einer,
    dessen Fuß es empfindet, daß dem Boden darunter nicht
    recht zu trauen ist. Sein erster Blick richtete sich nach der
    Auftriebsmaschine, die, ohne sich zu beeilen, mit beruhi-
    gender Regelmäßigkeit arbeitete.
    Danach begab sich der immerfort schwankende Neger
    nach der Reeling und ergriff diese mit beiden Händen, um
    sich mehr Gleichgewicht zu sichern. Offenbar wünschte er
    einen Überblick über das Land zu gewinnen, daß die ›Alba-
    tros‹ jetzt in einer Höhe von höchstens 200 Meter überflog.
    Frycollin hatte sich tüchtig zusammennehmen müssen,
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    um einen solchen Versuch zu wagen. Es bedurfte ja, seiner
    Meinung nach, einer gewissen Kühnheit, seine werte Person
    einer solchen Gefahr auszusetzen.
    Vor der Reeling stehend, hielt Frycollin erst den Körper
    nach rückwärts geneigt, dann schüttelte er daran, um ihre
    Haltbarkeit zu prüfen; nachher richtete er sich auf, beugte
    sich etwas nach vorwärts und steckte endlich den Kopf ein
    wenig hinaus. Wir brauchen wohl nicht zu bemerken, daß
    er während der Dauer dieses Experimentes beide Augen fest
    geschlossen hielt. Endlich öffnete er sie.
    Hei, wie schrie er da laut, wie flog er eiligst zurück und
    wie verkroch sich sein Kopf zwischen den Schultern!
    Unter dem Abgrund hatte er den ungeheuren Ozean er-
    blickt. Wären seine Haare nicht gar zu kraus gewesen, sie
    hätten sich gewiß über der Stirn gesträubt.
    »Das Meer! Das Meer!« schrie er auf.
    Frycollin wäre lang auf das Verdeck hingestürzt, wenn
    der Koch nicht die Arme ausgebreitet hätte, ihn aufzufan-
    gen.Dieser Koch war ein Franzose, vielleicht ein Gascogner,
    obwohl er sich François Tapage nannte. Wenn er nicht Gas-
    cogner war, so mußte er während seiner Kindheit die Brisen
    der Garonne eingesaugt haben. Wie dieser François Tapage
    aber in die Dienste des Ingenieurs gekommen, durch welche
    Reihe von Zufälligkeiten er unter die Mannschaft der ›Alba-
    tros‹ geraten war, das wußte kein Mensch. Jedenfalls sprach
    dieser Schlaukopf englisch trotz jedem Yankee.
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    »Heda, aufrecht, zum Teufel, herauf !« rief er, den Neger
    mit kräftigem Handgriff aufrichtend.
    »Master Tapage!« antwortete der arme Teufel, einen ver-
    zweiflungsvollen Blick nach den Schrauben werfend.
    »Was willst du denn, Frycollin?«
    »Geht das manchmal entzwei?«
    »Manchmal nicht, aber es wird einmal entzwei gehen.«
    »Warum? ... Warum denn?«
    »Weil zuletzt alles einmal zum Kuckuck geht, wie man
    bei mir zu Hause sagt.«
    »Ja, aber da ist ja das Meer darunter?«
    »Im Fall eines Sturzes ist das viel besser.«
    »Doch da muß man ertrinken!«
    »Man ertrinkt freilich, aber man behält seine ganzen
    Knochen«, erwiderte François Tapage zuversichtlich.
    Wie eine Schlange dahinkriechend, war Frycollin gleich
    darauf tief hinein in

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