Robur der Sieger
morgens. Das um 12 Millimeter auf-
und abschwankende Barometer war bis auf 709 gefallen,
wobei allerdings die Höhe, die der Aeronef über dem Meer
einnahm, zu berücksichtigen ist.
Seltsamerweise hatte sich dieser Zyklon außerhalb der
Zonen, die er sonst durchzieht, gebildet, d.h. zwischen dem
30. Grad nördlicher und dem 27. Grad südlicher Breite.
Vielleicht erklärt sich hierdurch, warum dieser Wirbel-
sturm sehr bald in einen gewöhnlichen, ziemlich geradlinig
verlaufenden überging. Doch welcher Orkan wütete dafür!
Der Windstoß von Connecticut am 22. März 1882 hätte
etwa damit verglichen werden können, dessen Geschwin-
digkeit 116 Meter in der Sekunde, d.h. über 100 Meilen in
der Stunde, erreichte.
Es blieb jetzt also nichts übrig, als rückwärts zu fliehen,
wie ein Schiff vor dem Sturm, oder sich vielmehr von dieser
Strömung mit forttragen zu lassen, die die ›Albatros‹ nicht
überwinden und aus der sie sich nicht befreien konnte.
Doch wenn sie dieser ihr aufgezwungenen Straße folgte,
floh sie nach dem Süden hin und wurde nach den Polar-
gebieten verschlagen, die Robur hatte vermeiden wollen.
Doch da sie nicht mehr Herr ihrer Bewegungen war, mußte
sie ja hinfahren, wohin der Orkan sie trug.
Tom Turner hielt noch immer getreulich am Steuerruder
aus. Es bedurfte aller seiner Gewandtheit, um nicht immer
von einem Bord zum anderen geschleudert zu werden.
Mit den ersten Stunden des Tages – wenn man den
schwachen Schein, der den Horizont färbte, so nennen
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konnte – hatte die ›Albatros‹ vom Kap Horn her 15 Brei-
tengrade hinter sich gelassen, d.h. über 400 Meilen, und sie
überschritt nun den Polarkreis.
Hier dauert die Nacht im Monat Juli noch 19 Stunden
lang, die kalte Sonnenscheibe erscheint nur schwach leuch-
tend am Horizont, um fast sogleich wieder zu verschwin-
den. Am Pol selbst verlängert sich diese Nacht bis auf 179
volle Tage. Alles deutete darauf hin, daß sich die ›Albatros‹
wie in einen Abgrund in sie hinein stürzen müsse.
An diesem Tag hätte eine Beobachtung, wenn eine mög-
lich gewesen wäre, die südliche Breite von 66 Grad 40 Mi-
nuten ergeben. Der Aeronef befand sich also nun 1.400
Meilen vom antarktischen Pol.
Unwiderstehlich nach diesem sonst unerreichbaren
Punkt der Erdkugel hingezogen, »verzehrte« seine Ge-
schwindigkeit sozusagen seine ganze Schwere, obwohl diese
infolge der Abplattung der Erde am Pol hier noch größer
war. Seine Auftriebsschrauben konnten sich das ja wohl
gefallen lassen. Bald wurde die Gewalt des Sturms so un-
geheur, daß Robur die Umdrehungszahl der Propeller auf
ein Minimum zu reduzieren beschloß, um diese vor ernsten
Beschädigungen zu schützen und doch ein wenig bei der
geringsten möglichen eigenen Geschwindigkeit durch das
Steuerruder wirken zu können.
Inmitten dieser Gefahren erteilte der Ingenieur seine
Befehle mit größter Kaltblütigkeit, und die Mannschaft ge-
horchte ihm, als ob die Seele des Chefs auch in ihr lebte.
Onkel Prudent und Phil Evans hatten das Verdeck, wo
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sie sich übrigens ohne alle Schwierigkeit aufhalten konn-
ten, nicht einen Augenblick verlassen. Die Luft bot ja keinen
oder nur sehr schwachen Widerstand. Der Aeronef befand
sich eben in derselben Lage, wie jeder Aerostat, der sich mit
dem Fluidum, in dem er ganz eintaucht, fortbewegt.
Das südliche Polargebiet umfaßt der gewöhnlichen An-
gabe nach eine Fläche von 4 1/2 Millionen (englische) Qua-
dratmeilen, doch weiß man nicht, ob es ein Festland, einen
Archipel oder nur ein Meer enthält, dessen Eis selbst wäh-
rend der langen Sommerszeit nicht zum Schmelzen kommt.
Bekannt ist dagegen, daß der Südpol noch kälter ist, als der
Nordpol, eine Erscheinung, die von der Stellung der Erde in
ihrer Bahn während des Winters der antarktischen Region
abgeleitet wird.
Während des Tages trat kein Anzeichen ein, daß der
Sturm abnehmen werde. Die ›Albatros‹ gelangte unter den
75. Grad westlicher Länge nach dem Polargebiet. Wer hätte
wissen können, unter welchem Meridian sie wieder aus ihm
heraustreten sollte?
Je mehr sie nach Süden hinabkam, desto mehr vermin-
derte sich die Tageslänge. Binnen kurzem mußte sie sich
in der fortwährenden Nacht befinden, die nur vom Mond-
schein oder von dem schwachen Leuchten der Südlichter
erhellt wird. Jetzt war aber Neumond, und die Gefährten
Roburs liefen Gefahr, gar nichts von jenen Gegenden zu se-
hen,
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