Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
und in etliche Geschäfte eingestiegen. Das Vereinsheim diente dabei als Kontakt- und Info-Börse für die Diebeszüge.
Clubpräsident Janez E. erwischt es im Januar 2010. Die Staatsanwaltschaft Gera klagt ihn wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, schwerer Körperverletzung und Hehlerei an. In dem Mammutverfahren sitzen noch vier weitere Bandidos und ein Unterstützer auf der Anklagebank. Der Staatsanwalt wirft ihnen versuchten Mord, schwere Körperverletzung und Drogenbesitz vor.
An diesem bitterkalten Januartag mit viel Neuschnee wundern sich Prozessbeobachter über die fehlende Unterstützung auswärtiger Bandidos. Normalerweise tauchen bei solchen Verfahren Rocker aus dem gesamten Bundesgebiet in Hundertschaftsstärke auf und signalisieren den Angeklagten ihre Solidarität. Doch in Erfurt friert lediglich ein trauriges Dutzend lokaler Figuren vor dem Gerichtsgebäude. Und die müssen auch noch draußen bleiben, weil sie ihre Kutten nicht ausziehen wollen. Szenekenner vermuten, dass ein Streit zwischen Janez E. und der deutsche Bandidos-Spitze in Bochum eskaliert ist. Der Weimarer Boss soll Prozesskostenhilfe aus der Nationalkasse gefordert haben. Die Deutschlandchefs hingegen betrachten das Verfahren als E.s Privatangelegenheit.
Auch nach innen bröckelt die Macht des Diktators. So ärgert es den in Untersuchungshaft sitzenden Vize Domenico M., dass bei Besuchen seiner hübschen Freundin Janez E. immer zugegen sein will. Der Tyrann fordert von seinem Vertreter zudem unverhohlen, dass sich dessen blondierte Partnerin prostituieren soll. Das ist zu viel. »Memo« bricht noch in der Zelle mit der Bruderschaft, die für ihn keine mehr ist. Sein Verteidiger ruft beim Staatsanwalt an und vermeldet: »Herr M. hat Gesprächsbedarf.« Die Männer treffen sich beim Landeskriminalamt in Erfurt. »Memo« packt aus und sagt den Ermittlern: »Wir waren nicht der MC Bandidos. Wir waren der MC Janez.«
Danach überschlagen sich die Ereignisse. Janez E. löst die Weimarer Bandidos-Dependance auf. Nach der Aussage seines ehemaligen Stellvertreters wandert er in Untersuchungshaft. Der Rockerboss wird schließlich unter anderem wegen diverser Gewalttaten zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Allerdings kann die Kammer in den Bandidos »Jena« keine kriminelle Vereinigung erkennen.
Dabei hätte ein Erfurter Hells-Angels-Unterstützer wegen der rücksichtslosen Rocker fast sein Leben verloren. Rafael »Rafa« H., Nummer drei in der Weimarer Bandidos-Hierarchie, überfällt im Dezember 2009 zusammen mit Nico R. den Rivalen René F. »Rafa« rammt ihm eine Machete in den Körper und schlitzt ihm den Bauch auf. Die Ermittler staunen hinterher, dass der Hells-Angels-Unterstützer überlebt hat. Nach Aussagen des späteren Kronzeugen Domenico »Memo« M. wollte sich »Rafa« den Aufnäher »Expect no Mercy« verdienen, um mit dem Brutalitätsorden sein Ansehen in der Gruppe zu steigern. Es wird lange dauern, bis »Rafa« das Abzeichen stolz präsentieren kann, denn das Landgericht Erfurt verurteilt ihn im Januar 2011 zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe. Insgesamt wandern 19 Rocker für insgesamt 74 Jahre hinter Gitter.
Die Bandidos in Weimar haben sich mittlerweile neu gegründet, ohne den ehemaligen Club-Despoten Janez E. Der sitzt noch im Gefängnis und empfindet die Wiederbelebung »seiner« Gang als Putsch, ja schlimmer noch, als Hochverrat.
KAPITEL 7 FRAUEN, DROGEN, STEROIDE
Die Geschäfte der Gangs
Was ist Organisierte Kriminalität?
D as »Bundeslagebild Rockerkriminalität« der Abteilung für Schwere und Organisierte Kriminalität ( SO ) im Bundeskriminalamt ( BKA ) ist so etwas wie das Standardwerk aller Spezialdienststellen im Land. In dem vertraulichen Bericht, 2009 erstmalig erstellt, beschreiben die Kriminalisten die Motorradclubszene in Zahlen, Daten, Fakten.
So lässt sich dem vertraulichen Papier entnehmen, dass mehr als die Hälfte der Fälle, in denen die Polizei seinerzeit gegen Rocker ermittelte, sogenannte Rohheitsdelikte waren. Das sind Straftaten wie Körperverletzung, Erpressung oder Raub, für die man weniger Köpfchen braucht als vielmehr dicke Arme, Waffen und bloß keine Skrupel.
Doch ebenso liefen seinerzeit gegen Mitglieder der Banden bereits 57 Verfahren der Organisierten Kriminalität, die zumeist eine deutlich intensivere Planung erfordern. Den Schaden, den die Gangs binnen eines Jahres verursacht haben sollen, taxierten die Wiesbadener Kriminalisten jedenfalls
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