Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Familie des Christian »Müll« Müller – seines Zeichens Anführer der örtlichen Hells Angels, zu denen auch Timur A. gehört – wohnt dort. Die unbekannten Angreifer schießen mehrfach auf das Gebäude, es wird jedoch niemand verletzt. Die Granate detoniert nicht.
In einem späteren Ermittlungsverfahren gegen Düsseldorfer Rotlichtgrößen wird der Kronzeuge Krystian »Leon« K., damals 30, aussagen, dass die Oberhausener Bandidos Vladan P. und Carsten G. den Anschlag ausgeführt hätten – mit Billigung der Clubführung. Die beiden hätten noch am selben Abend in der Szene mit dem Attentat geprotzt. Angeblich wusste das sogar der Höllenengel und reagierte mit einer SMS an G.: »Dafür werde ich euch jagen.«
Doch erst einmal geht die Rocker-Randale der Samstagnacht weiter. Um 4.30 Uhr knallt es in Essen, Wüstenhöferstraße 120. Fünfmal feuern unbekannte Angreifer auf das örtliche Bandidos-Heim, zwei Kugeln schlagen in die schusssichere Glastür des leeren Lokals ein. Die Ermittler stellen fest: »Niemand redet mit der Polizei.« Und rücken wieder ab.
Wenige Tage später beginnen die Bandidos, ihr wichtigstes Vereinsheim derart zu sichern, als läge es in Bagdad, nicht in Bochum. Fenster werden mit Stahlplatten verrammelt, massive Eisentüren montiert, Nato-Drähte verbaut, Bewegungsmelder installiert, mit Reizgas gefüllte Feuerlöscher bereitgestellt, ja die Rocker erwägen sogar, im ersten Stockwerk Panzerglas und im Treppenhaus Gitterkäfige anzubringen. Zu einer Thaibox-Gala im westfälischen Borken wollen sie entweder mit einer halben Hundertschaft anrücken oder gar nicht – es könnten ja Hells Angels dort sein.
Das nordrhein-westfälische LKA vermutet seinerzeit hinter den Auseinandersetzungen der Gangs Streitigkeiten um Gebietsansprüche. Es gehe wohl darum, »wer das Sagen hat in einem bestimmten Bereich«, so der Abteilungsleiter für Organisierte Kriminalität, Thomas Jungbluth. Die streng hierarchisch aufgebauten Rockerclubs versuchten, mit großer Brutalität ihre Reviere im Rotlicht und in der Türsteherszene abzustecken, sagt der Leitende Kriminaldirektor. Die Hells Angels hingegen teilen dazu schriftlich mit, »sämtliche Mutmaßungen (…), dass die Konflikte (…) auf Konkurrenzkämpfen z. B. im Drogenmilieu gründen«, entbehrten jeglicher Grundlage.
Oder, wie es ein Bandido-Führer in dem überwachten Bochumer Vereinsheim etwa zur selben Zeit in einem abgehörten Gespräch formuliert: Die Ermittler »wissen, dass wir – wenn es darauf ankommt – sehr gewaltbereit sind. Und ich denke mal, das steht für den Staat mehr an erster Stelle als die Kriminalität bei uns.«
Jedenfalls kündigt ein Sprecher des Düsseldorfer Innenministeriums im Nachgang der öffentlich geführten Auseinandersetzungen an, man werde »keine rechtsfreien Räume« dulden und »alles tun, um Straftaten aus diesem Milieu zu unterbinden«. Ermittlungen und Einsätze in der Rockerszene würden künftig zentral gesteuert. Und dann folgt der entscheidende Satz, der da lautet: »Wir werden massiv gegen diese Leute vorgehen.« Jetzt ist klar: Die Rocker haben es endgültig übertrieben.
KAPITEL 10 FREIHEIT – VON WEGEN
Der Alltag der Rocker
Spießer und Freiheit, Freiheit, Freiheit
W ir halten vier Werte für sehr wichtig: Das ist Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Respekt und das Streben nach Freiheit«, sagt Rudolf »Django« Triller, die Interview-Maschine der deutschen Hells Angels, im Sommer 2008 SPIEGEL TV. Und ein hochrangiger Bandido aus dem Ruhrgebiet erklärt: »Viele von uns träumen davon, vollkommen frei als Gesetzlose durch Amerika zu knattern und Züge zu überfallen.«
Freiheit – das Wort fällt fast immer, wenn Männer erklären sollen, warum sie Rocker geworden sind. Grenzenlos soll sie sein, diese Nicht-Existenz von Vorschriften, die erst das Ausleben aller Bedürfnisse ermöglicht. Doch wer wirklich davon träumt, sollte einen großen Bogen um die Vereinsheime der Motorradbanden machen.
Denn innerhalb dieser Gruppierungen muss sich jeder Einzelne nicht nur einer strikten Hierarchie, sondern auch einem Katalog von Regeln und Vorschriften unterwerfen. Egal ob Hells Angels oder Bandidos, beide Gruppen haben für sich ein Gesetzespaket verabschiedet, das es in seiner Regulierungstiefe mit jedem deutschen Kleingartenverein aufnehmen kann.
So legen die Bandidos etwa in ihrer »Europe Satzung« fest, dass jedes Mitglied vom 1. April bis zum 1. November über eine fahrbereite Harley verfügen
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