Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
»Rockerkriminalität im Freistaat Sachsen«.
Jahre später, es ist der 6. April 2006, erschießen die Rechtsterroristen vom »Nationalsozialistischen Untergrund« in Kassel den Betreiber eines Internetcafés, den 21-jährigen Halit Yozgat. Am Tatort hält sich unmittelbar vor dem Anschlag auch ein V-Mann-Führer des hessischen Verfassungsschutzes auf. Angeblich aus privaten Gründen, weil Andreas T. im Netz als »Wildman70« mit einer »Tanymany« chattet.
Am 22. April 2006 offenbart T. dann in seiner Vernehmung bei der Mordkommission »Cafe« unter anderem, dass er einen Hells Angel gut kenne, bei dem es sich wohl um den späteren Kasseler Club-Boss Michael S. handelt. Ein Kriminalbeamter schreibt daraufhin einen entsprechenden Vermerk: Kann es sein, dass Geheimdienstler Andreas T. die wichtigen Polizeidokumente an seinen Rockerkumpel durchgestochen hat? »Aufgrund der Gesamtumstände kann heute nicht ausgeschlossen werden«, dass T. der »Lieferant« gewesen sei, notiert der Polizist. Aufgeklärt wird auch dieser Verrat von Dienstgeheimnissen nie.
Die Begeisterung für das Milieu kann sogar so weit gehen, dass aus Ordnungshütern Outlaws werden, wie die Fälle des Berliners Beamten Thorsten S. und des Detmolders Timm K. zeigen. Letzterer träumt nach einer Banklehre und einer Ausbildung bei der Polizei jahrelang davon, einem Spezialeinsatzkommando anzugehören, er trainiert hart, doch letztlich reicht es nicht. Am Ende bricht er vollständig mit dem Rechtsstaat und landet bei den Rockern, wenngleich er auch dort relativ schnell kaltgestellt wird.
Regelmäßig sei zu beobachten, heißt es daher in einem vertraulichen Strategiepapier der Innenministerkonferenz (» VS – Nur für den Dienstgebrauch«), »dass private oder dienstliche Kontakte von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten oder Angehörigen anderer Sicherheitsbehörden zu Mitgliedern von Rockerclubs bestehen, die ihren – nicht von vornherein anrüchigen – Ursprung beispielsweise in gemeinsamen Aktivitäten in Sportvereinen, Fitnessstudios oder Schützenvereinen haben, oder die aus beruflichen Berührungspunkten mit Security-Unternehmen, Veranstaltungsdiensten, Gastronomie etc. herrühren.«
Und weiter: Bei Rockern bestehe jedoch »ein vitales Interesse, möglichst umfangreiche und detaillierte Informationen über polizeiliche Aktivitäten zu erlangen«. Die Bandbreite der »registrierten Einflussnahme« von Motorradgangs auf Polizisten reiche vom »Anfüttern« bis hin zur »tatsächlichen Korrumpierung«.
So verriet etwa der Erste Kriminalhauptkommissar Michael N. des hessischen Landeskriminalamts für 1000 Euro Dienstgeheimnisse an einen Sympathisanten der Frankfurter Hells Angels. Die Folge war eine elfmonatige Bewährungsstrafe, die N. nach jahrelangen Ermittlungen im Sommer 2012 erhielt. Auch in Kiel sollen Rocker einen Justizbediensteten, einen Polizisten und einen städtischen Beamten geschmiert haben. Die Untersuchungen dazu dauerten bei Drucklegung dieses Buches noch an.
Was aber folgt daraus für Recherchen gegen Rocker? »Drei Dinge«, sagt ein Leitender Kriminaldirektor: »Vertraue niemandem! Halte die Zahl der Mitwisser so gering wie möglich! Arbeite zügig!«
Daher wissen die allermeisten der etwa 1200 Beamten, die im Mai 2012 in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen gegen die Hells Angels ausrücken, im Vorhinein auch nicht, was ihr Auftrag sein wird. »Uns hat man gesagt, wir gingen gegen Neonazis vor«, erinnert sich ein Bereitschaftspolizist, der dabei war. Erst im letzten Augenblick sei ihnen das wahre Ziel offenbart worden.
In Hessen hingegen reicht die Verschwiegenheit der Beamten nicht aus. Im Winter 2010 hat der dortige Innenminister Boris Rhein ( CDU ) die bisher größte Polizeiaktion gegen die Gangs in Deutschland genehmigt. Mehr als 3000 Beamte treten in zwei Anläufen gegen die Hells Angels an, doch beim zweiten Mal sind die Rocker gewarnt. Sie schicken sich – wenige Stunden bevor die Spezialeinsatzkommandos ( SEK s) durch ihre Türen krachen – vielsagende Kurznachrichten: »Heute Nacht wird es stürmen.« Die Polizei lernt aus diesem Fehler, so dass in das anschließende Verbotsverfahren gegen die beiden Frankfurter Hells Angels Clubs höchstens 15 Personen eingeweiht werden. Auch das SEK informieren die Kriminalisten erst, nachdem die Verfügungen bereits rechtskräftig zugestellt sind.
Weil Recherchen im Rotlicht- und Rocker-Milieu immer ein hohes Risiko bergen, verraten zu werden, kommt »dem
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