Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
sogar was er auf dem Kerbholz hat.
Drittens reißt der Nachrichtenstrom – anders als etwa nach den Duisburger Mafia-Morden – seit Jahren nicht ab, im Gegenteil: Immer wieder gibt es neue Schlägereien, Messerstechereien, Schießereien, Handgranatenanschläge, Ermittlungsverfahren, Razzien, Festnahmen, Haftbefehle, Anklagen, Prozesse, Kronzeugen, Verbote und so weiter. Für Schlagzeilen-Nachschub ist gesorgt, der Presse gefällt das sehr.
Viertens umweht die Rocker ein geheimnisvoller Mythos, der viele Zuschauer, Hörer, Leser reizt und den die Journalisten daher allzu gerne transportieren. Grenzenlose Freiheit, Unangepasstheit, Easy Rider, das volle Programm aus Lederwesten, Cowboystiefeln, Haaren im Wind schwingt bei jedem der Berichte mit.
Fünftens gilt in den Medien die goldene Regel: Rocker gehen immer – wie sonst nur Tierbabys und Promiklatsch. Das Interesse der Öffentlichkeit ist dort, wo man es unmittelbar für einzelne Berichte messen kann (Fernsehen, Internet), bei Veröffentlichungen über Hells Angels und Bandidos konstant hoch. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass vielen Deutschen die Abläufe in den Vereinen (feste Mitgliedsbeiträge, gemeinsame Unternehmungen, mehrköpfiger Vorstand) näher sind als etwa die Riten ausländischer Mafia-Gruppierungen.
Sechstens: Die Reporter können mit den Rockern sprechen. Das ist nicht nur psychologisch wichtig, sondern auch handwerklich. Eine Gruppierung wie die kalabrische ’Ndrangheta lässt sich schlecht für eine presserechtlich häufig notwendige Stellungnahme erreichen. Die deutschen Bandidos und Hells Angels hingegen haben sogar Pressesprecher, deren Nummern lange Zeit im Internet standen. Rudolf Triller, der Cheferklärer der Höllenengel, beispielsweise wird für sein Engagement sogar entlohnt: Eine Zeit lang soll er nach Erkenntnissen der Behörden zusätzlich zu seinem Clubgehalt (1000 Euro im Monat) von jedem der knapp 50 deutschen Charter monatlich 50 Euro erhalten haben. Bestätigt ist das jedoch nicht.
Viele gute Gründe also, warum Rocker zu den neuen Medienlieblingen wurden. Doch im Gegenzug verfolgen auch die Gangs mittlerweile eine ausgesprochen ausgeklügelte Strategie im Umgang mit der Journaille.
Wie die Rocker Journalisten instrumentalisieren
Einschlägige Szene-Blätter nutzen die Rocker schon lange, um ihre legalen Geschäfte anzukurbeln, Eheschließungen öffentlich zu zelebrieren oder den letzten Vereinsausflug an die Ostsee in Wort und Bild besprechen zu lassen. Die »Biker News« sind für Rocker so etwas wie »Wild und Hund« für den Waidmann, gäbe es da nicht einen entscheidenden Unterschied.
In dem »Motorrad-Magazin für Biker und Rocker« verkünden die Gangs nämlich in diversen Kleinanzeigen auch, welche neue Dependance sie gerade eröffnet haben – woraus nicht selten ein regionaler Alleinvertretungsanspruch des jeweiligen Clubs resultiert und damit Konfliktpotenzial. Man könnte auch sagen, die Clubs markieren in dem Fachjournal ihr Revier, denn der Feind liest mit. Offiziell wollen sie natürlich nur ihre bloße Existenz kundtun.
So erschien etwa in der August-Ausgabe 2007 der »Biker News« folgende »Bekanntmachung«: »In Oldenburg gibt es nur einen Club, der das Sagen hat, und das ist der Bandidos MC Oldenburg! Alle Absprachen erfolgen nur über uns.« Bereits eine Nummer später hatte die Konkurrenz kapituliert und teilte das auch schriftlich per Annonce mit. So viel Ordnung muss sein.
Mit den Kollegen der Lokalpresse verfuhren die Rocker in der Vergangenheit anders, hier galt es vor allem, gute Miene zu machen und für eine wohlwollende Berichterstattung zu sorgen. Beliebt waren bei den Rockern Charity-Aktionen sowie Festivitäten aller Art, die sogar in größeren Medien erstaunlich positive Resonanz fanden.
Über eine Schlagerparade in Hannover, die die Höllenengel zeitweilig sogar anführen durften und die ohne deren Unterstützung nicht derart opulent ausgefallen wäre, berichtete sogar ein großer deutscher Fernsehsender in einer fast halbstündigen Reportage. Vor laufender Kamera sagte der »König von Mallorca«, Jürgen Drews, seinerzeit: »Ich bin das Steckenpferd unserer Hells Angels hier, und wenn die rufen, kann ich die wohl nicht im Stich lassen.« Damals störte das kaum jemanden.
Ebenfalls in Hannover ließ ein Lokalblatt in diesen Jahren ausgerechnet denjenigen Redakteur die »erstaunliche Resozialisierung« und »erfolgreiche Wiedereingliederung« des Hells-Angels-Fürsten
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