Rockfords tödlicher Bluff
bemerkte einmal, daß jede Gang aus neunzehn Burschen namens Tony besteht, die klauen, und aus einem Burschen namens Sidney, der die Beute zählt. Wenn das stimmt, sind sie sehr wahrscheinlich an der Lower East Side zu Hause.
Das 29. Revier befindet sich in einem verfallenden, braunen Backsteingebäude, von wo aus strategisch günstig Chinatown, das Italienerviertel und »Soho« bedient Werden können. »Soho« steht für »South of Houston«, die Gegend, in die sich die Künstler verzogen haben, nachdem sie vor den hohen Mieten in Greenwich Village flüchten mußten.
Die Detektive des 29. Reviers waren im dritten Stock« des Backsteinhauses untergebracht. Der Leiter des Reviers war Lieutenant Lawrence Pierson, der für Privatdetektive nicht viel übrig hatte. Besonders sauer war er auf Privatdetektive, die von außerhalb kamen, und er war sicher, daß jeder, der den ganzen Weg von Los Angeles zu seinem vernachlässigten, von Papierbechern übersäten Büro zurückgelegt hatte, nur Ärger machen würde.
Lieutenant Pierson blickte mißvergnügt auf Rockfords Ausweis und ein Foto von Mark Chalmers.
»Rockford, wie?« fragte er im beleidigten Tonfall.
»Richtig«, bestätigte Rockford zuvorkommend. »Jim Rockford.«
Pierson seufzte. »Hören Sie, Jim, ich sage es gerade heraus, weil ich nicht möchte, daß wir später Ärger kriegen… mein Problem ist einfach, daß ich diese ungeheures Abneigung gegen Privatdetektive habe. Sie wissen wahrscheinlich, daß es sich um eine Polizistenkrankheit handelt. Ihr Burschen schwärmt herein wie diese Geier mit der nackten Halskrause, zertrampelt mir meinen Garten, dann haut ihr wieder ab und laßt mich mit dem ganzen Ärger allein.«
Pierson nahm den Ausweis und das Foto und schob beides über den Tisch zu Rockford.
»Das wär's, lieber Freund«, sagte er. »Wenn Sie meinen Rat hören wollen: Packen Sie Ihren Kram, nehmen Sie den nächsten Güterzug, und rollen Sie aus dieser Stadt.«
»Ich versuche nur, korrekt zu sein, Lieutenant«, bemerkte Rockford. »Ich habe mich bei Ihnen gemeldet, wie sich das gehört. Wenn ich irgend etwas entdecke, teile ich es Ihnen mit. Ich brauche nur ein wenig Hilfe.«
»Ich versuche nicht, korrekt zu sein, Rockford«, knurrte Lieutenant Pierson und gähnte. »Ich will Ihnen nicht helfen. Ich will nichts von Ihnen hören. Ich bin nur an einem interessiert, soweit es Sie betrifft: daß Sie abhauen.«
Rockford nahm den Ausweis und das Foto und steckte beides in die Tasche.
»Haben Sie sich mit Los Angeles in Verbindung gesetzt?« fragte er.
»Yeah… die Cops dort sagen, daß Sie ein Flittchen sind.«
»Ein was?« stutzte Rockford verblüfft.
»Ein Flittchen.«
»Haben Sie mit Dennis Becker gesprochen, wie ich Ihnen gesagt habe?«
Lieutenant Lawrence Pierson blickte gelangweilt auf Rockford. »Nein. Ich hatte jemanden namens Dell am Apparat.«
»Harry Dell sagt, ich sei ein Flittchen?« fragte Rockford und zog die Augenbrauen hoch.
»Genau das hat er gesagt«, bestätigte Pierson und gähnte wieder.
»Er fängt an, mich zu mögen«, überlegte Rockford laut. »O ja.«
»Good-bye, Jim«, sagte Pierson. »Den Flugplatz erreichen Sie, indem Sie die Linie über die Lexington Avenue bis zum Grand Central nehmen, dann gehen Sie zu Fuß zum East Side Airlines Terminal auf der 39. Straße und nehmen den Bus. Wenn Sie Geld haben, nehmen Sie ei Taxi.«
»Ein Taxi. In Ordnung. Verstanden«, grinste Rockford »Hören Sie, wenn Sie jemals nach Los Angeles kommen besuchen Sie mich. Wir könnten zusammen was unternehmen, ein paar Betrunkene verprügeln oder so.«
Pierson lächelte schwach, und Rockford eilte zur Tür hinaus, die Treppen hinunter auf die Straße. Sobald er außer Sichtweite war, verschwand das Lächeln auf Piersons Gesicht. Er schloß die Tür seines Büros, blätterte in seinem Telefonverzeichnis und wählte mit dem Ausdruck höchster Konzentration eine Telefonnummer.
*
Rockford besuchte die Zeitungen, die Archive und tummelte sich auf den Straßen. Zwei Tage lang pirschte er die Straßen der Lover East Side auf und ab und zeigte das Foto von Mark Chalmers Barmännern, Zeitungsverkäufern und Ladenbesitzern. Bis zum Nachmittag des dritten Tages hatte er kein Glück.
Es war ein ungewöhnlich heißer Tag für Ende Oktober, und viele, die keine Klimaanlage besaßen, zogen sich fü die Dauer der Hitzewelle in Bars zurück.
Es war kurz nach fünf, als Rockford in ein kleines italienisches Restaurant am West Broadway stolperte. Es
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