Rocking Horse Road (German Edition)
sind es oft auch unsere Frauen oder Freundinnen, die uns so lange bestürmen, bis wir einen Schlußstrich ziehen. »Gruselig« ist das Adjektiv, das von den Frauen am meisten benutzt wird. Sie nehmen es uns übel, daß wir so viel Zeit mit diesem Fall verbringen, Zeit, die sie zu Recht als verloren für sich und die Familie ansehen. Aber es ist noch mehr: Die Frauen spüren, daß der Fall Asher ein Gebiet unseres Lebens ist, zu dem sie keinen Zutritt haben. In all den Jahren haben wir es oft und von vielen verschiedenen Stimmen gehört, und vielleicht haben sie ja recht: Vielleicht sollten wir wirklich »endlich erwachsen werden«.
Aber das ist leichter gesagt als getan. Man kann durchaus sagen, daß keiner von uns je über Lucy Asher hinweggekommen ist. Sie war unsere erste wahre Liebe und in mancher Beziehung auch unsere letzte. Natürlich sagen wir das einander nicht offen ins Gesicht, aber uns ist schon klar, wie viele gestörte Beziehungen zu Frauen es bei allen von uns gibt. Trennungen und Scheidungen sind fast an der Tagesordnung, weit mehr als der statistische Durchschnitt für uns vorsieht. Allzuoft treffen wir uns bei einem alleinlebenden Mann, dessen Kinder am Wochenende zu Besuch kommen oder dessen neue, meist jüngere Freundin uns am liebsten auf den Mond schießen würde.
Nach ein paar Bieren machen wir Witze darüber. Unsere Unterhaltungen sind voller Selbstironie und Scherze über einander. Manchmal sind unsere Sticheleien hart an der Schmerzgrenze. Doch unter dem Gelächter spürt man die Untiefen von Spannung und Traurigkeit.
Die unausgesprochene Wahrheit ist, daß wir alle noch immer nach etwas suchen. Nicht nur nach Lucys Mörder, sondern nach dem Augenblick in unserem Leben, da wir die unerschütterliche Überzeugung hatten, daß wir einem höheren Zweck dienten, einem übergeordneten Wohl. Wenn man diese Überzeugung einmal hatte, fällt es schwer, sie loszulassen. Es ist beinahe unmöglich, eine langfristige Befriedigung in den Alltäglichkeiten eines normalen Lebens zu finden.
Man kann sogar sagen, daß wir von dem, was damals geschehen ist, heimgesucht werden. Da gibt es keine rasselnden Ketten oder nebelhaften Erscheinungen. Nur die Erinnerungen an einen langen, heißen Sommer und den Geist eines breitschultrigen Mädchens, das in unserem Blut schwimmt und keinerlei Anstalten macht, jemals daraus zu verschwinden.
Und nun ist im letzten Juli Pete Marshall folgendes passiert: Während einer Routineuntersuchung im Rahmen einer Lebensversicherung, die er abschließen wollte, stellte man Krebs fest, der in seinen Hoden begonnen hatte und dann in seinem Blut bis in seine Lungen getrampt war. Von da ging die Reise weiter in sein Gehirn. »Zerfressen« war das Wort, das Pete benutzte, als er uns davon erzählte.
Ein paar von uns hatten sich bei Tug Gardiner getroffen, um die Crusaders im Finale der Super 14 der letzten Saison zu sehen. Wir saßen im Wohnzimmer bei Bier und Chips. In diesem Haus hatten wir uns schon in unserer Schulzeit getroffen. Tug hatte es nach dem Tod seines Vaters geerbt. Er brachte es nicht über sich, in dem Zimmer zu schlafen, in dem seine Eltern ihn gezeugt hatten und in dem sein Vater 2003 an einem schweren Schlaganfall gestorben war. Deshalb schlief er noch immer in diesem Kasten über dem Wohnzimmer wie schon als Kind.
Pete war so anständig, bis nach dem Spiel zu warten, um es uns zu sagen. Das jedenfalls war der Witz, den Jase Harbidge machte, ein paar Sekunden nachdem Petes Worte in die Luft gestiegen waren wie schwarzer Rauch vom Feuer eines bösen Nachbarn. Wir lachten, auch Pete, wahrscheinlich weil wir nicht wußten, was wir sonst tun sollten. Aber natürlich waren wir zu Tode erschrocken. Wir suchten nach Worten, um irgendwie auszudrücken, was wir empfanden. Pete half uns aus der Patsche, indem er das Ganze herunterspielte. Lachend sagte er, es hätte ihn zwar an den Eiern gepackt, aber er würde es schon schaffen.
Klar wirst du das, befanden wir alle und grinsten wie die Breitmaulfrösche im Angesicht des Storches. Bestimmt ist es nicht so schlimm, wie die Ärzte sagen. Die vertun sich doch dauernd. Ich habe da von einem Typen gehört, der ... und so weiter und so fort, bis die letzte Flasche Bier ausgetrunken war und wir aufbrechen mußten. Da waren wir felsenfest überzeugt, daß Pete nur etwas Vorübergehendes hatte, wie ein Drüsenfieber oder einen Trümmerbruch.
Auch das war einer dieser Wendepunkte, wie Lucys Beerdigung. Zu ihrer Zeit werden sie
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