Rocking Horse Road (German Edition)
fast nie als solche erkannt. Die Leute glauben immer, daß es eine zweite Chance gibt, daß es morgen ziemlich genauso weitergeht wie heute. Die dummen Witze und Petes Optimismus waren unsere Art zu leugnen, daß eine große Veränderung sich hinter uns aufgetürmt hatte wie eine Riesenwelle, die nun über uns hereinbrechen würde.
In den nächsten Tagen und Wochen führten wir unser Leben ganz normal weiter. Wenn uns der Gedanke an Pete beschlich, schüttelten wir ihn ab. Wenn wir ihn trafen, fragten wir natürlich, wie es ihm gehe. »Gut, besser denn je.« Froh, diese Klippe hinter uns gebracht zu haben, ging alles wie gewohnt weiter. Das erste Stadium der Trauer ist immer das Leugnen.
Drei
Jeder wußte, daß Lucy am Abend ihrer Ermordung zur Weihnachtsfeier des South Brighton Surf Club gegangen war. Die Polizei befragte vom ersten Tag der Ermittlungen an jeden, der bei dieser Party gewesen war. Die Vernehmungsprotokolle sind umfangreich und höchst interessant (Exponate T45–63). Dennoch haben wir unsere eigenen Gespräche geführt, mit jedem, von dem wir sicher wußten, daß er an diesem Abend dort war (Exponate T-A1–18).
Brian Andrews, im Dezember 1980 Präsident des Clubs und ein exzellenter Rettungschwimmer – er hielt den Landesrekord im Beach Flags –, erinnerte sich, daß er Lucy barfuß tanzen gesehen hatte. Damals war er 24, was uns ziemlich alt vorkam. Das obere Geschoß des Surfclubs war ein einziger offener Raum mit freiliegenden Dachsparren und einer kleinen Küche mit Heißwassergerät.
»Ich hatte eine Discokugel dort oben aufgehängt«, sagte Brian und drehte seinen Finger langsam in der Luft. »Sie hat ohne Schuhe getanzt. Ich erinnere mich, daß ich dachte, die wird mal eine richtige Herzensbrecherin.«
Natürlich wollten wir wissen, mit wem Lucy getanzt hat.
»Mit ein paar von den anderen älteren Mädchen, aber auch allein, mit jedem halt. Was weiß ich. Es war eine Party, fast jeder hat getanzt.« Brian schüttelte traurig den Kopf. »Was für ein Verlust!«
Pete Marshalls älterer Bruder Tony war ebenfalls auf der Party, obwohl er kaum etwas mit dem Surfclub zu tun hatte. Als Vierzehnjähriger war er Mitglied gewesen, dann aber rausgeschmissen worden, weil er an einem Faschingstag im Lagerraum unter dem Klubhaus Gras geraucht hatte. Tony gestand uns – aber nicht der Polizei –, daß er mehrere Flaschen Wodka auf die Party geschmuggelt hatte. Das meiste davon war direkt in den Früchtepunsch geflossen. Er erzählte, daß er gerade eine leere Flasche in seiner Tasche verschwinden lassen wollte, als Lucy plötzlich neben ihm stand, das Gesicht vom Tanzen gerötet und feucht. »Ich dachte, die verpetzt mich, aber sie lachte bloß und nahm sich einen großen Plastikbecher von dem Zeug.
›Cheers‹, sagte sie zu mir. Nur ›Cheers‹, sonst nichts. Das fand ich ziemlich stark. Danach habe ich sie nicht mehr gesehen. Es waren jede Menge Leute da.« Tony strich sich das lange schwarze Haar aus dem Gesicht und sah uns direkt in die Augen. »Ein Jammer, was da passiert ist. Lucy war echt klasse.«
Auch andere erinnerten sich an Lucy in dieser Nacht. Offenbar machte sie Eindruck. Rachael White, die am nächsten Tag so dramatisch am Strand in Ohnmacht fiel, war sicher, daß Lucy noch nach Mitternacht auf der Party war. »Sie hat mit einer ganzen Menge Jungs getanzt, und nicht wie in der Tanzschule, wenn ihr versteht, was ich meine.« (Offen gestanden, haben wir Rachaels Einschätzung der Dinge kein Vertrauen entgegengebracht.) »Ich glaube, sie hat getrunken.« Mehr wollte sie zu dem Thema nicht sagen.
Auf die Frage nach Details, also mit wem Lucy getanzt hatte, konnte Rachael keinen einzigen Namen nennen. Dafür kam bei Tony Marshall wie aus der Pistole geschossen: »Anton Lester.« Wir redeten mit Anton in der Umkleide nach einem Cricketmatch. Er gehörte Lucys Schuljahrgang an und spielte in diesem Sommer für die zweite Mannschaft im North Beach Club. Die Saison näherte sich dem Ende, als wir mit ihm sprachen. Sein Team hatte soeben mit 50 Runs Rückstand verloren.
»Klar. Das habe ich schon der Polizei erzählt. Ich habe eine Zeitlang mit ihr getanzt. Sie war ein ziemliches Luder – ich dachte, ich vernasche sie auf der Stelle. Aber als wir dann draußen im Turm waren, änderte sich alles, sie wurde total frigide.« Er löste das letzte Band seines Beinschoners und schmiß ihn in die Ecke des Duschraums. Dann fischte er sein Suspensorium vorne aus der Hose.
Im
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