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Rocking Horse Road (German Edition)

Rocking Horse Road (German Edition)

Titel: Rocking Horse Road (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Nixon
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zwei Tage im Krankenhaus, zur Beobachtung. Im Krankenwagen hatte er Morphium bekommen, und nach etwa zwölf Stunden ließ der Schmerz von selbst nach, ging aber von diesem Zeitpunkt an niemals mehr ganz weg und mußte ständig in Schach gehalten werden. Weder die Ärzte noch Pete (noch sogar wir) ließen sich zu dem Gedanken verführen, daß Pete je wieder der würde, der er vorher gewesen war.
    Während seines Krankenhausaufenthalts kamen wir alle ihn besuchen, aber nicht alle auf einmal, das Zimmer war zu klein. Mit leeren Händen aufzukreuzen schien uns falsch. Schokolade kam nicht in Frage, Pete hatte nie eine Vorliebe für Süßes gehabt, und jetzt nahm er schon seit Wochen kaum mehr etwas zu sich. Blumen waren etwas für Mädchen. Schließlich bekam Pete so viele Trauben mitgebracht, daß er seinen eigenen Wein hätte keltern können. Er gab die meisten an die drei älteren Männer weiter, mit denen er das Zimmer teilte.
    Am Abend dieses ersten Tages im Krankenhaus saß Jase Harbidge allein bei Pete. Die Besuchszeit war längst vorüber, draußen herrschte Dunkelheit. Die anderen Patienten in Petes Zimmer hatten die Vorhänge um ihre Betten gezogen und schienen zu schlafen, doch konnte man da nie sicher sein. Den ganzen Tag über hatten wir gesehen, wie sie eine Zeitlang dösten und dann plötzlich die Augen aufschlugen und erschrocken von ihren Kissen hochfuhren. Dann schauten sie um sich, wie um sich zu überzeugen, daß sie noch lebten. Nach ein paar Sekunden lehnten sie sich wieder zurück, offenkundig mit gemischten Gefühlen – Erleichterung darüber, am Leben zu sein, und Enttäuschung über die Umgebung, in der sie sich wiederfanden.
    Die Onkologie-Station befindet sich im obersten Geschoß des Krankenhauses. Man sieht über den botanischen Garten, nachts nur ein dunkles Becken, das von den Lichtern der Stadt eingefaßt wird. Jase sagte, der Geruch von Chemikalien habe sich wohl den Tag über verstärkt und sei nun bis zu ihnen hoch gedrungen. Pete stand immer noch unter Morphium, er sprach undeutlich. Jase war eben aufgestanden, um das Fenster zu öffnen, da sagte Pete:
    »Ich glaubte sie zu sehen. Im Watt.«
    Jase mußte nicht fragen, wen er meinte. Es entstand eine Pause. Nur das Summen der Klimaanlage und der rasselnde Atem des Sterbenden in der anderen Ecke des Raumes waren zu hören.
    »Ich glaubte sie auf mich zukommen zu sehen mit der Flut. Sie ging auf dem Wasser. Aber sie schaffte es nicht bis zu mir vor den Sanitätern.« Pete lachte leise. »Als sie mich auf hoben, war ich stinksauer. Ich wollte ihnen sagen, sie sollten mich für sie dalassen.«
    Das war alles, was er sagte, bevor er einschlief. Jase blieb noch eine Weile sitzen und schaute den Schlafenden an, und als er sicher war, daß Pete so bald nicht wieder wach würde, stand er auf, schob vorsichtig seinen Stuhl zurück, um keinen Lärm zu machen, und ging leise hinaus.
    Bei Beginn der Besuchszeit am nächsten Morgen war der alte Mann aus der Zimmerecke verschwunden, und Pete konnte sich an fast nichts mehr erinnern, was am Vortag geschehen war. Als wir später darüber redeten, stimmten wir alle überein, daß da wohl das Morphium aus ihm gesprochen hatte. Es war besser, es Pete gegenüber nicht mehr zu erwähnen.
1981 führte die South Brighton High School ein System ein, bei dem ältere Schüler diverse Aufgaben in und um die Schule zu übernehmen hatten. Im zweiten Trimester fanden wir uns öfter in die Kantine beordert, wo wir aufsässige Neuntund Zehntklässler beim Anstehen im Zaum zu halten hatten. Zweimal im Monat mußten wir zehn Minuten vor bis zehn Minuten nach dem Läuten am Schultor stehen und alle aufschreiben, die zu spät kamen. Wir sorgten in der Bibliothek für Ruhe und kontrollierten entlegene Ecken des Schulgeländes, wo wir gelegentlich hinter verwilderten Sträuchern weiße Rauchwolken aufsteigen sahen wie die Rauchzeichen der Indianer.
    Eine andere unserer Pflichten war die Arbeit im Fundbüro.
    Verlorene Jacken und Taschen, Bücher und Mäppchen – mit Namen oder ohne – wurden sämtlich in einen winzigen Raum, kaum größer als ein Garderobenschrank, zwischen den Umkleideräumen der Jungs und der Bibliothek gestopft. Für jeden, der im Lauf der Woche etwas verloren hatte, bildete das Fundbüro die erste Anlaufstation. Jeden Mittwoch durfte derjenige, der Dienst hatte, die letzte Stunde am Vormittag fünf Minuten früher verlassen, um den Schlüssel zu holen, der hinter der Tür des Lehrerzimmers hing. Wenn

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